Tod im Pfarrhaus
die Irene eben erst kennen gelernt hatte, aber auch eine ganze Reihe von Leuten, die sie bisher nicht kannte.
»Wer sind die hier?«, fragte sie und deutete auf die Fotos.
»Das gesamte restliche Personal der Gemeinden. Der Sekretär für Öffentlichkeitsarbeit, die Hausmutter des Gemeindehauses, die Leute für die Jugendarbeit und die Kindergärtnerinnen.«
Rasch deutete Louise nacheinander auf die Gesichter.
»Kindergärtnerinnen, Sekretär für Öffentlichkeitsarbeit? Sind die alle bei der Kirche angestellt?«, fragte Irene.
»Wir haben einen Kindergarten und eine gut funktionierende Jugendarbeit. Hier am Ort ist die Kirche mit der größte Arbeitgeber. Und meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das Geld reicht. Schließlich müssen die Kirchen, die Gemeindehäuser, Pfarrhöfe und übrigen Gebäude hin und wieder renoviert werden. Ich kümmere mich um sämtliche Rechnungen und Löhne, die gesamte Buchhaltung.«
Irene hatte sich die Kirche nie als Arbeitgeber mit einem großen Umsatz vorgestellt, aber genau das war sie. Und Sten Schyttelius war für alles in diesem Pfarrbezirk verantwortlich gewesen.
»Sie tragen also die Verantwortung für die Finanzen, aber Hauptpfarrer Schyttelius stand dem Gesamten vor. Wie war er so als Chef?«
Zum ersten Mal blieb Louise Måårdh einen Augenblick stumm. Schließlich sagte sie zögernd:
»Sten war ein netter Mensch, aber als Chef hatte er gewisse … schlechtere Seiten. Er stand kurz vor der Pensionierung. Vielleicht hing es damit zusammen, dass er ziemlich altmodisch und autoritär war. Aber manchmal war wirklich kaum mit ihm auszukommen. Er geriet sehr schnell außer sich und konnte fürchterlich wütend werden. Frauen betrachtete er als seine persönlichen Handlanger und nicht als Mitarbeiterinnen. Hin und wieder gerieten wir aneinander … Meine Vorgängerin hat deswegen gekündigt. Es war viel von Mobbing die Rede, aber die Sache verlief im Sand. Ganz zu schweigen von seinen Meinungsverschiedenheiten mit dem Kirchenvorstand. Der neue Vorsitzende und Sten verstanden sich überhaupt nicht.«
Während Louise sprach, glitt einer der Fotoumschläge von ihrem Knie und fiel zu Boden. Die Bilder lagen überall verstreut, und Irene stand auf, um dabei mitzuhelfen, sie wieder einzusammeln. Sie nahm das erste Foto und zögerte dann.
Ganz links im Bild hob Sten Schyttelius ein randvolles Schnapsglas. In der Mitte saß Bengt Måårdh, das Gesicht halb vom Hauptpfarrer abgewandt. Den einen Arm hatte er um die Schultern der Kantorin Eva Möller gelegt. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr. In ihrem roten bestickten Kleid mit dem rechteckigen Halsausschnitt sah sie bezaubernd aus. Sie lächelte. Soweit Irene das beurteilen konnte, schien ihr der Pfarrer in den Ausschnitt zu schielen.
Louise Måårdh merkte, dass Irene das Foto von ihrem Mann und der schönen Kantorin gesehen hatte, sagte aber nichts. Sie streckte die Hand aus, um die Bilder in Empfang zu nehmen.
»Danke«, meinte sie tonlos.
Irene fand, es sei an der Zeit, das Verhör der Kirchenbuchhalterin zu beenden.
»Wissen Sie, ob sich jemand aus der Familie Schyttelius bedroht fühlte?«, fragte sie.
Louise schüttelte ihre rotbraune Mähne.
»Nein. Davon habe ich nie gehört.«
»Hat Sten Schyttelius jemals etwas über Satanisten gesagt?«
»Ja. Nachdem die Sommerkapelle niedergebrannt worden war. Er war rasend vor Wut!«
»Hat er in letzter Zeit noch von den Satanisten gesprochen?«
»Nein. Jedenfalls nicht, soweit ich mich erinnern kann. Das war überwiegend in den Monaten direkt nach dem Brand.«
»Davon, dass er versucht haben soll, die Satanisten über das Internet aufzuspüren, haben Sie nichts gehört?«
»Internet? Nein, davon habe ich nie gehört«, sagte Louise aufrichtig erstaunt.
»Dann habe ich im Augenblick keine weiteren Fragen. Wären Sie so nett, Ihren Mann hereinzurufen?«
Bengt Måårdh sah bekümmert aus, als er im Besucherstuhl Platz nahm. Er faltete die Hände, stützte die Ellbogen auf die Armlehnen und ließ seinen ernsten Blick auf Irene ruhen. Erneut hatte sie das Gefühl, einem Trost spendenden Pfarrer zu begegnen, und dass sie es war, die den Zuspruch nötig hatte. Das Gefühl war absurd, aber trotzdem konnte sie es nicht abschütteln. Vielleicht lag es an seinen mitfühlenden braunen Augen hinter der randlosen Brille.
Möglicherweise war es aber auch nichts als eine professionelle Haltung. Ein Werkzeug, das Bengt Måårdh in Trauersituationen einsetzte: Mitgefühl.
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