Tod im Pfarrhaus
letztes Jahr an Weihnachten nicht zu Hause. Sie hatte wohl eine Grippe. Aber das Jahr davor war sie hier. Wir haben hier die Tradition, dass alle Pfarrersfamilien nach der Christmette zusammen frühstücken. Und zwar hier im Gemeindehaus. Natürlich ist das übrige Personal auch eingeladen.«
Während sie sprach, sortierte sie die Fotos. Als sie mit der Reihenfolge zufrieden war, sagte sie:
»Auf den ersten Bildern sehen Sie die Familie Schyttelius. Und da haben Sie unsere Familie, und auf den letzten das übrige Personal.«
Zum ersten Mal sah Irene, wie Familie Schyttelius ausgesehen hatte, als alle noch am Leben gewesen waren.
Sten Schyttelius lächelte auf dreien von vier Bildern. Auf dem vierten lachte er aus vollem Hals und trank Bengt Måårdh mit einem Schnapsglas zu.
»Ist die Christmette der einzige Gottesdienst, den ein Pfarrer am Weihnachtstag hält?«, fragte Irene.
»Nein. Danach kommen noch Hauptgottesdienst und Abendandacht. Wieso?«
»Sten Schyttelius und Ihr Mann trinken schon morgens einen Schnaps.«
»Nur ein Gläschen zum Hering. Das merkt man beim Hauptgottesdienst schon gar nicht mehr. Außerdem teilen die Pfarrer die Gottesdienste unter sich auf. Sonst wird es zu viel.«
Sten Schyttelius war groß und korpulent gewesen. Irene sah das an seiner riesigen Pranke, mit der er den Fuß des Schnapsglases hielt. Sie schien einem Schwerstarbeiter und nicht einem Diener der Kirche zu gehören. Das Gesicht war kräftig und wurde von einer fleischigen Nase beherrscht. Der Haaransatz war nach hinten verschoben, aber das stahlgraue Haar war immer noch dick und kräftig. Auf den Fotos lächelte er warm und herzlich. Auf der Aufnahme, auf der er in die Kamera lachte, verschwanden seine Augen fast ganz in den Lachfältchen.
Neben dem Hauptpfarrer saß seine Gattin. Neben ihrem strahlenden Mann wirkte sie unansehn lich. Eine dunkelgraue Kostümjacke und eine eben falls graue Bluse mit Stehkragen trugen sicher zu diesem Eindruck noch bei. Das dünne graue Haar war kurz und lag platt am Kopf an. Irene fand, dass sie an Rut Börjesson erinnerte, aber die Gemeindeschwester strahlte im Gegensatz dazu immerhin noch eine gewisse Lebhaftigkeit aus. Diese fehlte Elsa Schyttelius vollkommen. Auf einem Foto schaute sie direkt in die Kamera. Ihr Blick war leer, und ihre Gesichtszüge wirkten starr. Hatte sie sich damals in einer ihrer Krankheitsphasen befunden?
Neben Elsa saß eine junge Frau. Das konnte nur Rebecka sein. Auch sie war groß und kräftig, was ebenfalls dazu beitrug, dass Elsa klein und farblos wirkte. Die Ähnlichkeit mit dem Vater war deutlich. Rebecka war aber nicht dick wie ihr Vater, sondern hatte einfach ein kräftiges Knochengerüst. Das hatte Irenes Mutter immer über Leute gesagt, die groß waren und breite Schultern hatten. Sie trug ein hellbraunes Sakko, unter dem ein gelber Rolli hervorschimmerte. Ihr kräftiges Haar war dunkel und schulterlang. Große Locken umrahmten ihr Gesicht. Soweit Irene das auf dem Foto erkennen konnte, trug sie kein Make-up, das hatte sie aber auch gar nicht nötig, die Kontraste waren auch so ausreichend. Irene fühlte sich beim Anblick ihres Gesichts an südländische Filmstars aus den fünfziger Jahren erinnert. Es passte nicht zu dem anorektischen Schönheitsideal des 21. Jahrhunderts, aber sie war eindeutig eine schöne Frau.
»Sie muss recht groß sein«, sagte Irene und sah zu Louise Måårdh hoch.
»Wir sind gleich groß. Ein Meter achtundsiebzig«, erwiderte Louise Måårdh rasch.
Sie lächelte, als sie sah, wie erstaunt Irene über diese genaue Auskunft war.
»Wir haben uns damals darüber unterhalten. Sie hatte das hübsche braune Sakko in einem Spezialgeschäft in London gekauft. Long Tall Sally hieß es, glaube ich. Sie wissen selbst, wie schwer es sein kann, was Gescheites zum Anziehen zu finden«, sagte sie.
Irene nickte. Das Problem kannte sie. Die Kirchenbuchhalterin legte einen langen manikürten Zeigefinger auf eines der Fotos und sagte:
»Da sitzt Jacob neben Per. Wenn wir schon über Größe reden: Jacob und Rebecka waren gleich groß.«
Jacob Schyttelius lächelte in die Kamera. Er wirkte fröhlich und entspannt. Er war blond und schmächtig. Irene konnte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Vater oder der Schwester erkennen, gewisse Züge der Mutter waren jedoch zu erahnen. Das Einzige, was die Geschwister gemeinsam hatten, waren die braunen Augen und die dunklen Brauen.
Auf den drei letzten Fotos waren die Personen zu sehen,
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