Tod im Pfarrhaus
»Nachrichten aus dem Pfarrbezirk Kullahult« hießen, außerdem Papier, Stempel, Locher und anderes Büromaterial. Ganz unten in einem Schrank stand ein Karton, auf dem »Schwedens Ökumenische Kinderdörfer« stand. Irene begann, in den Broschüren zu blättern, wurde aber unterbrochen, als Tommy zurückkam.
»Im Schrank befanden sich fünf Gewehre und Unmengen von Munition. Ist jetzt alles bei der Spurensicherung. Das Interessante ist, dass der Schrank unverschlossen war und dass der Schlüssel steckte«, sagte er.
»Waren die Waffen zerlegt?«, wollte Irene wissen.
»Nein. Das ist auch nicht nötig, wenn Waffen in einem zugelassenen Waffenschrank weggeschlossen sind. Und dieser hier ist zugelassen, einmal abgesehen davon, dass er unverschlossen war.«
»Der Mörder scheint gewusst zu haben, wo sämtliche Schlüssel lagen.« Irene dachte laut nach.
»Oder Familie Schyttelius bewahrte ihre Schlüssel an Stellen auf, die leicht zu finden sind. Denk nur an den Schlüssel unter dem Blumentopf vor dem Sommerhaus«, erinnerte sie Tommy.
Irene nickte und wühlte weiter in dem Karton. Das Meiste waren dünne Broschüren über verschiedene Kinderdörfer, in denen die Waisenkinder wohnen und die Schule besuchen konnten. Wahrscheinlich genossen sie auch grundsoliden, altmodischen Religionsunterricht, dachte Irene, als sie das Foto einer Gruppe dunkelhäutiger Kinder sah, die mit gebeugten Köpfen und gefalteten Händen vor einem Altar standen. Der Pfarrer war jung und blond und hatte die Rechte zum Segen erhoben. Sein Blick war auf einen Punkt über den Köpfen der Kinder gerichtet. Die Bildunterschrift lautete: »Die Kleinen sind wissbegierig und nehmen dankbar Gottes Botschaft an.«
Die Häuser wurden als einfach, aber ordentlich bezeichnet. Die Kinder erhielten Essen, medizinische Versorgung und Schulunterricht. Sämtliche Arbeit wurde von Freiwilligen geleistet.
Irene dachte eine Weile nach. Vater und Sohn hatten sich für dieses begrüßenswerte Projekt engagiert. Warum waren diese idealistischen und augenscheinlich netten Männer so brutal ermordet worden? Ganz zu schweigen von der gehemmten Ehefrau und Mutter, die niemandem was zu Leide getan zu haben schien.
»Jetzt sind wir im Schlafzimmer fertig«, rief Svante durch die Tür des Billardzimmers.
Irene legte die Broschüren wieder zurück in den Karton und stellte diesen zurück in den Schrank. Ehe sie das Zimmer verließ, drehte sie sich in der Tür noch einmal um.
Das Arbeitszimmer war sicher benutzt worden, wirkte jedoch merkwürdig unpersönlich. Nur die ausgestopften Vögel hingen an den Wänden. Keine Bilder, Fotos oder Ähnliches, was dem Zimmer einen persönlichen Zug verliehen hätte. Sie dachte darüber nach, ohne dass sie eine gute Erklärung dafür gefunden hätte, und trottete schließlich hinter den anderen her ins Schlafzimmer.
Auch dieses war recht unpersönlich, fast schon spartanisch, jedoch geräumig und hoch. Beherrschendes Möbelstück war ein Doppelbett mit zwei Nachttischchen. Im Übrigen gab es zwei unbequeme Holzstühle und eine hübsche Kommode. Auf dem Boden lag ein verschlissener Flickenteppich in Hellblau und Beige. Sämtliche Bettwäsche und die Matratzen waren entfernt. Über dem Kopfende des Bettes waren an der hellen Tapete große Blutflecke zu sehen.
Zwischen den beiden Fenstern hing das Kruzi fix immer noch verkehrt herum. Es war aus schwarzem Holz, die Christusfigur vermutlich aus Silber.
Mit seinen ausgebreiteten Armen und dem hängenden Kopf wirkte Jesus noch hilfloser als sonst.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte Tommy:
»Ich hätte wirklich Lust, es wieder richtig herum zu hängen.«
Irene nickte, aber keiner schritt zur Tat.
»Den Satanisten ist am meisten daran gelegen, den Leuten Angst einzujagen. Deswegen benutzen sie kirchliche Symbole und machen sich über sie lustig«, meinte Irene nachdenklich.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das die ganze Wahrheit ist. Schließlich haben sie auch eigene Symbole. Wo in der Kirche gibt es denn das Pentagramm? In unserer modernen Gesellschaft vergisst man gern, dass Symbole die Kraft haben, die wir ihnen verleihen. Der gekreuzigte Jesus ist das mächtigste Symbol des Christentums und hat deswegen ganz klar die größte Kraft. Einem Hindu, der ein umgedrehtes Kruzifix sieht, würde das wahrscheinlich gar nichts ausmachen.«
Zögernd sagte Irene:
»Ich bin nicht besonders religiös. Ich gehe fast nie in die Kirche. Und die Zwillinge wollten sich nicht
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