Tod im Pfarrhaus
Händen sang sie eine kurze Beschwörung, ehe sie das Atme mit beiden Händen wieder ergriff und die Klinge gegen die Stirn drückte. Dann stand sie mit geschlossenen Augen da und richtete ihr Bewusstsein ganz nach innen.
Irene hatte es noch nie erlebt, dass es so schnell gegangen war, sich in Mokuso, das schweigende Sitzen, zu versenken. Behagliche Wärme und friedliche Stimmung breiteten sich in ihr aus, und sie fühlte sich federleicht. Wunderbare Seifenblasen in schillernden Farben schwebten durch ihre Gedanken, und sie fühlte sich zum Licht hingezogen. Als sie fast dort war, versuchte sie, sich auf Sten Schyttelius zu konzentrieren.
Die Veränderung geschah unmerklich. Erst bemerkte sie gar nichts. Nach einer Weile sah sie, dass sie auf dem Weg fort vom Licht war. Sie begann zu frieren und versuchte, ihre Jacke enger um sich zu ziehen. Aber das ging nicht, da sie so tief in Trance war. Ihre Glieder waren schwer und gehorchten ihr nicht mehr. Ein dunkler Nebel begann, das Licht zu verdrängen. Plötzlich hörte sie eine Stimme sagen:
»Keikotu! Mate!«
Die Stimme warnte sie, bat sie, die Séance abzubrechen. Ein Gefühl von Gefahr machte sich in ihr breit. Sie musste die Meditation beenden. Irgendetwas war nicht in Ordnung.
Mit ungeheurer Willensanstrengung tauchte sie aus der Trance auf und begann, sich wieder an die Oberfläche des Bewusstseins zurückzuarbeiten. Schließlich gelang es ihr, die Augen zu öffnen und den Blick auf Eva am Altar zu richten.
Dann ging alles wahnsinnig schnell. Anschließend war sich Irene nicht sicher, ob sie das alles wirklich gesehen oder doch eher geträumt hatte.
Die Sonne war hinter einer Wolke verschwunden, und es hatte angefangen, kräftig zu winden. Die Augen vor Entsetzen geweitet, starrte Eva in den Kelch. Sie summte nicht mehr, sie jammerte. Irene sah undeutlich, dass sie plötzlich einige Handbreit über der Erde schwebte und dann nach hinten Richtung Haus geschleudert wurde. Mit einem dumpfen Knall schlug sie mit dem Kopf gegen den Steinsockel des Holzhauses und blieb reglos liegen.
Mit einem Mal war Irene hellwach und auf den Beinen. Sie eilte zu Eva und fühlte ihren Puls. Der war kräftig und regelmäßig, auch die Atmung wirkte normal. Erleichtert sah Irene, dass Evas Augenlider zu zucken begannen. Sie schlug die Augen auf. Ihr Blick war matt und verwirrt.
»Was … was ist passiert?«, fragte sie mit schwacher Stimme.
Ehe Irene noch etwas sagen konnte, schrie Eva:
»Das war der Teufel selbst!«
Nach dem ersten Schreck fühlte Irene ihr die Stirn und ermahnte sie, still liegen zu bleiben und sich zu beruhigen. Möglicherweise hatte sie eine Gehirnerschütterung erlitten, und da war es besser, wenn sie sich nicht aufregte. Vorsichtig betastete Irene Evas Hinterkopf: keine offene Wunde, dafür aber eine große Beule, die anschwoll. Eva versuchte aufzustehen. Irene musste ihr dabei helfen, so zittrig war sie. Gemeinsam wankten sie dann zum Haus, ins kleine Wohnzimmer hinter der Küche hinein. Eva legte sich auf das Sofa, das bequem und einladend wirkte.
»Ich gehe draußen die Sachen holen. Es kann jeden Moment zu regnen anfangen«, sagte Irene.
Eva nickte und schloss die Augen, als sei sie sehr müde.
Als Irene mit der vollen Kiste wieder hereinkam, saß Eva aufrecht auf dem Sofa. Sie schaute aus dem Fenster. Die ersten Tropfen schlugen schwer gegen die Scheibe. Ohne Irene anzuschauen, fragte sie:
»Was ist passiert? Ich erinnere mich nur noch, dass ich im Kelch ein Gesicht gesehen habe und fürchterliche Angst bekam … dann wird alles schwarz. Ich erinnere mich auch, dass ich das Gefühl hatte, mich in der Gegenwart des Bösen zu befinden.«
Sie riss ihren Blick vom Fenster los und sah Irene an. Irene ärgerte sich, dass sie stotterte, als sie zu erzählen begann:
»Ja … ich befand mich ebenfalls in tiefer Trance … möglicherweise war ich nicht ganz wach …«
Irene versuchte zu erzählen, was sie gesehen hatte. Evas veilchenblaue Augen wurden munterer, und sie sagte spöttisch:
»Du willst nicht glauben, was du selbst gesehen hast. Das macht nichts. Irgendwie haben wir trotzdem etwas Wichtiges erfahren.«
»Was?«
»Sten hatte eine dunkle Seite. Und die kam vom Bösen.«
Vorsichtig betastete Eva die Schwellung an ihrem Hinterkopf. »Kannst du mir etwas Kaltes aus dem Kühlschrank holen? Ich muss die Beule kühlen.«
Irene ging in die Küche und nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank. Als sie sie Eva hinhielt, fragte
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