Tod im Pfarrhaus
Tresen.
»Einen Eimer voll bitte«, stöhnte Irene.
Ihr sonniges Lächeln immer noch auf den Lippen, drehte sich das Mädchen um und wählte eine Suppenschale aus Keramik. Sie füllte sie zu zwei Dritteln.
»Milch oder Sahne? Ich kann die Milch auch aufschäumen.«
Irene durchströmte eine große Dankbarkeit, dass sie einem Menschen begegnet war, der ihr fundamentalstes Bedürfnis frühmorgens nachvollziehen konnte.
»Nein, danke. Ich trinke ihn schwarz.«
Irene versuchte zu lächeln, aber das war wirklich zu viel verlangt. Ihre Gesichtsmuskeln schliefen noch. Als das Mädel hinterm Tresen auch noch eine Serviette und ein After Eight auf ihr Tablett legte, war sie richtig gerührt. Das brachte ihr endgültig zu Bewusstsein, dass sie vermutlich so aussah, wie sie sich fühlte - wie ein Wrack. Nachdem Irene ihre Schale Kaffee getrunken hatte, war sie bereit zum Shoppen. Sie ging in die Flughafenparfümerie und kaufte für sich ein und die Zwillinge, die ihr eine Liste mitgegeben hatten. Ein Zehntel des Korbinhalts war am Schluss für sie, der Rest für die Mädchen.
Nach knapp zwei Stunden in der Luft landete die Maschine in Heathrow. Ein Hagelschauer prassel te gegen den Flugzeugrumpf. Während sie aus der Maschine stieg, hörte der Hagel auf und ging in Nieselregen über. Es war windig und ungemütlich.
Hinter der Passkontrolle warteten mehrere Leute mit Pappschildern. Auf einem stand »Ms. Irene Huss«. Das dahinter konnte eigentlich nur Inspector Glen Thomsen sein. Und so war es auch.
»Willkommen in London. Ich bin Glen Thomsen.«
Seine weißen Zähne funkelten. Er war dunkelhäutig. Wie ein Brite sah er wahrlich nicht aus. Sein Haar glänzte tiefschwarz und war kurz und kraus.
Er streckte ihr seine Hand entgegen, und Irene hatte sich wieder so weit in der Gewalt, dass sie ihren Namen über die Lippen brachte.
Glen Thomsen nahm ihr die Tasche ab und meinte:
»Vielleicht fahren wir erst mal ins Hotel.«
Als sie das Empfangsgebäude verließen, brach eine bleiche Sonne zwischen den Wolken hervor.
»Sie haben hier wirklich Aprilwetter«, meinte Irene.
Thomsen lächelte, und seine Zähne funkelten. Er nickte, ging auf einen schwarzen Rover zu, entriegelte die Beifahrertür und hielt sie ihr auf. Dann warf er ihre Tasche auf den Rücksitz.
»Wir hatten jetzt zwei Wochen lang fantastisches Wetter, aber gestern ist es umgeschlagen. Den ganzen Tag hat es geregnet. Aber heute soll es wieder besser werden.«
Irene hörte keinerlei Akzent. Wenn er nicht hier geboren ist, dann ist er auf jeden Fall hier aufgewachsen, dachte sie.
Sie fuhren an grünenden Bäumen und Äckern vorbei. Erstaunt stellte Irene fest, dass die Kirschbäume bereits ausschlugen. Sie waren sicher einen Monat früher dran als in Göteborg. Als sie sich London näherten und die ersten Wohnviertel passierten, sah sie blühenden Goldregen und Magnolien, die fast schon in voller Blüte standen.
Der Verkehr wurde dichter, je näher sie der Stadt kamen. Und alle fuhren auf der falschen Seite! Irene dankte der Vorsehung, dass sie nicht ans Lenkrad musste. Glen Thomsen schien keine Schwierigkeiten mit dem Verkehr zu haben. Als Irene erzählte, dies sei ihr erster Besuch in London, sagte er sofort:
»Dann machen wir einen kleinen Umweg, dann kann ich Ihnen die größeren Straßen zeigen. So können Sie sich leichter zurechtfinden. Es ist gut, wenn Sie sich nicht verlaufen.«
Er erzählte, deutete auf Sehenswürdigkeiten und schien den anderen Verkehrsteilnehmern keine größere Aufmerksamkeit zu schenken.
»Ich habe für Sie ein Zimmer im Hotel meiner Schwester reserviert. Unser Vater hat es nach dem Krieg gegründet. Er war Schotte und heiratete erst recht spät. Meine Mutter war mit einer brasilianischen Tanztruppe in London und blieb, nachdem sie Dad kennen gelernt hatte. Er ist vor ein paar Jahren gestorben, und da hat meine Mutter ein Restaurant eröffnet. Es liegt ein paar Blocks vom Hotel entfernt. Das mit dem Restaurant war ein Jugendtraum von ihr - schauen Sie, da liegen Marble Arch und auf der linken Seite der Hyde Park - und macht ihr immer noch wahnsinnigen Spaß. Sie werden sie heute Abend kennen lernen. Alle Thomsens sind dort heute zum Abendessen, und wir hoffen, dass Sie auch Lust haben zu kommen.«
»Danke, gern«, antwortete Irene.
Die gesprächige Freundlichkeit ihres Gastgebers überwältigte sie.
»Ich habe Rebecka Schyttelius gestern Abend angerufen. Sie war gerade aus der Klinik gekommen und meinte, dass wir
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