Tod im Pfarrhaus
elf vor dem Hotel abholen würde, aber es war wohl besser, wenn er schon früher Bescheid wüsste.
Wieder auf ihrem Zimmer nahm Irene Glens Visitenkarte und rief ihn in der Arbeit an. Sie hatte Glück, er war sofort am Apparat. Irene versuchte, ihm wortreich zu erklären, was am Vorabend vorgefallen war, aber er fiel ihr sofort ins Wort:
»Ich komme, so schnell es geht.«
Irene ging nach unten in die Lobby, um auf ihn zu warten. Mit einem gut gelaunten »Guten Mor gen« eilte Estell an ihr vorbei und verschwand ebenso schnell wieder in den hinteren Gefilden des Hotels. Sie konnte nicht viel geschlafen haben, aber das war ihr nicht anzusehen. Irene gab sich keinen Illusionen hin. Ihr sah man es sicher sofort an, dass sie eine schwere Nacht hinter sich hatte.
Mit einem sonnigen Lächeln auf den Lippen betrat Glen den Hoteleingang, aber als er Irenes Gesicht sah, verschwand es sofort.
»Wir gehen rauf auf Ihr Zimmer«, sagte er nur.
Irene erzählte ihm detailliert, was vorgefallen war. Glen unterbrach sie kein einziges Mal, sondern hörte die ganze Zeit nur aufmerksam zu. Als sie fertig war, schüttelte er den Kopf.
»Unglaublich! Die Frage ist nur, wer mehr Pech hatte. Sie, weil man Sie an Ihrem ersten Abend in London überfallen hat, oder die Täter, weil sie eine Exmeisterin in Jiu-Jitsu überfallen haben!«
Er lächelte, wurde aber sofort wieder ernst.
»Ich rufe das Revier an.«
Glen benutzte das Telefon auf Irenes Zimmer. Er sprach lange mit verschiedenen Leuten. Immer wieder saß er auch nur da, hörte zu und nickte. Gelegentlich schielte er zu Irene hinüber, und sie meinte, einen neuen Ausdruck in seinen Augen erkennen zu können. Richtig entscheiden, was er bedeuten sollte, konnte sie nicht, aber hin und wieder sah er beunruhigt aus.
»Kommen Sie. Wir müssen fahren. Ich erzähle Ihnen alles auf dem Weg«, sagte Glen.
Er ließ den Wagen nicht sofort an, nachdem sie eingestiegen waren, sondern sah Irene einen Augenblick ernst an.
»Sie hatten unglaubliches Glück. Dank Ihrer Jiu-Jitsu-Kenntnisse sind Sie wahrscheinlich einem schrecklichen Schicksal entronnen.«
Er verstummte und drehte den Zündschlüssel um. Schnurrend sprang der Motor an.
»Das Taxi war gestohlen. Der Fahrer wurde mit schweren Stichverletzungen und ausgeraubt auf einer Seitenstraße nur ein paar Blocks vom Vitória entfernt gefunden. Dort stehen nur ein paar Abbruchhäuser. Er war geknebelt, und die Hände waren mit Klebeband gefesselt. Offenbar geht es ihm recht schlecht. Er liegt im Krankenhaus. Der einzige Trost ist, dass die Täter das ebenfalls tun.«
Glen machte eine Pause, er hatte an einem Zebrastreifen angehalten, um eine ältere Dame mit Gehwagen über die Straße zu lassen. Dann gab er Gas und fuhr fort:
»Der Mann, der Sie überfallen hat, heißt Ned Atkinson. Er wird auch Totengräber genannt.«
Er verstummte erneut. Irenes Kopfschmerzen flammten einen Augenblick wieder auf. Sie hatte also mit einem Mann gerungen, der den Spitznamen Totengräber trug. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber ihre Zunge fühlte sich steif und seltsam geschwollen an. Sie schwieg.
»Ned ist ein stadtbekannter Knacki und Fixer. Vor einigen Wochen kam er wieder auf freien Fuß, nachdem er zwölf Jahre wegen Beihilfe zum Mord gesessen hatte. Seine Spezialität ist die Mitarbeit bei Auftragsmorden für die Unterwelt und die Beseitigung der Leichen. Deswegen auch der Spitzname Totengräber.«
Irene gelang es, ihre Zunge von der Lähmung zu befreien. Sie versuchte ein tapferes Lächeln.
»Darf ich fragen, wie der andere Bursche genannt wird?«
Glen sah sie lange an, ehe er entgegnete:
»The Butcher.«
Der Schlächter. Irene beschloss, keine weiteren Fragen zu stellen.
»Sie hatten Glück, dass nicht er Sie ins Taxi gezerrt hat. Der Schlächter wiegt sicher einhundertdreißig Kilo und ist wahnsinnig stark. Aber als er letzten Monat aus dem Gefängnis geflohen ist, hat er sich offensichtlich am Knie verletzt. Das haben sie letzte Nacht im Krankenhaus festgestellt, wo er wegen seiner Schädelverletzungen eingeliefert wurde. Der Kommissar, mit dem ich gesprochen habe, meinte, dass ein normaler Mensch mit so einer Wunde am Knie wahrscheinlich gar nicht hätte herumlaufen können. Der Schlächter war natürlich dazu gezwungen. Er hätte sich kaum auf irgendeiner Notaufnahme blicken lassen können, denn er wurde steckbrieflich gesucht.«
Sie waren an Marble Arch vorbeigefahren und bogen jetzt in die Oxford Street ein. Der Verkehr war
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