Tod im Pfarrhaus
will gar nicht wissen, was los ist. Die meisten machen einfach die Klappe zu und tun so, als sei nichts. Und damit meine ich die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung. Auch die, die wissen, was los ist, und die Hände in den Schoß legen, machen sich mitschuldig. Das meine ich wirklich.«
Irene konnte ihr da nur zustimmen. Sie hatte im Laufe der Jahre mit einigen Inzestfällen zu tun gehabt. Auffällig oft hatte es Erwachsene im Umfeld der wehrlosen Opfer gegeben, die etwas geahnt oder von dem Missbrauch gewusst hatten. Trotzdem hatten sie nichts unternommen, um dem Kind zu helfen.
Irene saß lange da und hing ihren Gedanken nach, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte. War Rebecka bei dieser Sache vielleicht auf Informationen über eine bestimmte Person gestoßen? Hatte sie ihren Eltern und ihrem Bruder davon erzählt? Wie hatten diese die Erkenntnisse dann eingesetzt? Vermutlich falsch, da sie alle drei tot waren.
Die Einzige, die möglicherweise auf diese Fragen eine Antwort wusste, war Rebecka. Hannu hatte Recht. Sie musste zurück nach London. Am nächs ten Wochenende war Ostern, aber danach würde sie fahren müssen.
Dienstagmorgen rief ein jugendlicher Ornithologe bei Kommissar Andersson an. Am zurückliegenden Sonntag hatte er beim Vogelbeobachten eine Feuerstelle am Nordende des Norssjön entdeckt. Erst hatte er sich das Ganze nicht genauer angesehen, aber dann hatte er es aus einer Laune heraus doch noch getan, ehe er weitergezogen war. Er war sich sicher, dass Reste von Computerdisketten in der Feuerstelle gelegen hatten. Aus den Zeitungen wussten inzwischen wirklich alle von den gelöschten Festplatten und den Blutpentagrammen an den Tatorten. Trotzdem hatte es den ganzen Montag gedauert, bis er sich dazu aufgerafft hatte, bei der Polizei anzurufen.
Andersson machte einen Treffpunkt aus, um sich von ihm zur Feuerstelle führen zu lassen. Über die Wechselsprechanlage rief er Fredrik Stridh an, bekam aber keine Antwort. Dann drückte er den Knopf von Irenes Nebenstelle. Die saß brav in ihrem Büro und versprach, sofort bei ihm reinzuschauen.
Am vereinbarten Treffpunkt, der Pizzeria von Kullahult, trat der Fünfzehnjährige nervös von einem Bein aufs andere. Seinem pickligen Gesicht war die Enttäuschung deutlich anzusehen, als Irene aus dem Wagen stieg und sich als Kriminalinspektorin vorstellte. Die Frage war nur, was ihn am meisten enttäuschte, dass er es mit einer Frau zu tun hatte oder dass er nicht mit einem Streifenwagen mit Blaulicht fahren durfte. Irene setzte sich wieder ans Steuer. Svante Malm saß, seine große Tasche neben sich, auf dem Rücksitz. Der Jüngling stellte sich als Tobbe Asp vor. Er setzte sich neben Irene auf den Beifahrersitz und lotste sie zum Norssjön. Sie parkten bei einer kleinen Abzweigung ein paar hundert Meter vor dem Weg, der zum Sommerhaus der Schyttelius führte. Das Wetter war schön, obwohl es nicht sonderlich warm war. Nach ihren Erfahrungen bei ihren letzten Waldspaziergängen hatte Irene Gummistiefel mitgenommen. Den Vogelfreund an der Spitze marschierten sie hinunter zum See.
Am Ufer fanden sie in einer tiefen Felsspalte die Feuerstelle. Schon mit bloßem Auge konnte Svante Malm die Reste von Disketten in der Asche erkennen.
Während sich Svante um die Asche kümmerte und das umliegende Terrain sondierte, fuhr Irene den hilfsbereiten Tobbe zurück. Vorsichtig erkundigte er sich, ob er nicht mitkommen und sich die Räume der Spurensicherung im Präsidium anschauen könne. Sozusagen der Asche folgen, die er gefunden hatte … Irene senkte die Stimme und sagte, so verschwörerisch sie konnte, dass das leider aus ermittlungstechnischen Gründen nicht möglich sei, dass sein Fund jedoch für die weitere Ermittlung von unschätzbarer Bedeutung sei. Damit schien er sich zufrieden zu geben.
KAPITEL 15
Sie hat selbst vorgeschlagen, dass wir ihre Aussage auf Video aufnehmen.«
Tommy fuchtelte mit der Videokassette herum. Irene, Kommissar Andersson und Fredrik saßen in einem der größeren Verhörzimmer vor dem Fernseher und wollten bei der Premiere seines Films das Publikum stellen.
Feierlich legte er die Kassette in den Videorekorder und drückte auf Wiedergabe.
Das handverlesene Publikum hörte seine Stimme aus dem Fernseher. Er nannte das Datum. Das war allerdings überflüssig, denn es stand in einer Ecke des Bildes. Dann ging es weiter:
»Anwesend sind ich selbst, Kriminalinspektor Tommy Persson, Staatsanwältin Inez Collin und Rechtsanwalt
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