Tod im Schärengarten
war.
Trotzdem wollte sie ihr Migränemedikament nicht nehmen, diese kleine rosa Tablette, die die Qual erträglich machte und sie wieder auf die Beine brachte. Das Pochen in der Schläfe war immer noch besser als der Schmerz, der sie überfiel, sobald sie daran dachte, dass Oscar tot war.
Immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie einen Blick zur Bürotür ihres verstorbenen Chefs warf. Nach all diesen Jahren konnte sie nicht anders. Der Kopf drehte sich von ganz allein in die Richtung. Dort drinnen stand sein Schreibtisch, der elegante Schreibtisch aus dem neunzehnten Jahrhundert, den er bei Bukowskis ergattert hatte. Stur hatte er ihn behalten, obwohl die Kanzlei einen teuren Innenarchitekten angeheuert hatte, der moderne Designermöbel vorschrieb. Jetzt sah der Schreibtisch ebenso verloren aus wie ein Hund, dem sein Herrchen abhandengekommen war.
In den ersten Tagen nach der Todesbotschaft hatte sie mehr geweint, als sie für möglich gehalten hätte. Eine urgewaltige Flut von Tränen, die aus zunehmend mehr verquollenen und geröteten Augen strömte. Nachts hatte sie sich ein Kissen vor den Mund gepresst, damit die Nachbarn ihre Verzweiflung nicht hörten. Ihre Perserkatze, der schöne weiße Blofeld, hatte sich unter dem Bett versteckt, verängstigt von ihrem erstickten Schluchzen.
Sie fragte sich, wie Sylvia sich jetzt wohl fühlte. Sylvia, die alles Recht der Welt hatte, öffentlich zu weinen. Die trauernde Witwe, dievon Verwandten und Freunden gestützt wurde und wenigstens ihre Kinder hatte, für die sie leben konnte.
Eva Timells Mund verzog sich zu einer bitteren Grimasse. Sylvia hatte alles und Eva nichts. Trotzdem hatte niemand Oscar besser gekannt als sie. Sie war es gewesen, die fast jede wache Minute in Oscars Leben verplant und die Übersicht über seine Termine und Verpflichtungen behalten hatte.
Jedes einzelne Weihnachtsgeschenk, das Sylvia in den letzten fünfzehn Jahren bekommen hatte, jede luxuriös verpackte Parfümflasche hatte Eva ausgesucht. Sie hatte sogar darüber Buch geführt, damit Sylvia nicht zweimal hintereinander das gleiche Geschenk erhielt.
Und was war der Dank dafür? Ein Leben als Single, ein Dasein als kinderlose Frau in reiferen Jahren.
Damals, als sie Oscars Assistentin wurde, hatten sie ein leidenschaftliches Verhältnis angefangen. Nie hatte sie sich so geliebt und begehrt gefühlt wie zu jener Zeit. Morgens war sie viel zu früh aufgewacht, nur weil sie sich so danach sehnte, endlich ins Büro gehen und Oscar sehen zu können.
Wie oft hatte sie im Bett gelegen und über ihre gemeinsamen Stunden fantasiert. Manchmal hatte sie sich kleine Überraschungen für ihn ausgedacht, etwa eine schöne Postkarte gekauft, einen hintersinnigen Spruch darauf geschrieben und sie in die Tagespost gelegt. Und darauf gewartet, dass er sie entdeckte. Dann kam er zu ihr ins Zimmer mit diesem Lächeln im Gesicht, das er nur bei besonderen Gelegenheiten zeigte.
Wie lange hatte sie gewartet und gehofft, dass Oscar sich scheiden ließe. Im Laufe der Jahre, während die Kinder groß wurden und Oscars Interesse sich in andere Richtungen wandte, war ihr klar geworden, dass eine Scheidung Illusion bleiben würde. Oscar genoss sein bequemes Leben viel zu sehr, um etwas daran zu ändern.
Sylvia war als Gattin und Mutter perfekt für seine Zwecke. Sie kümmerte sich um das Haus und die Kinder und war ein großer Gewinn für einen erfolgreichen Mann mit Ambitionen. Sie kam aus einer angemessen vornehmen Familie und war gut verwurzelt im gesellschaftlichen Humus von Saltsjöbaden. Sylvia kam nicht mit irgendwelchen Einwänden, als Oscar ihr gemeinsames Leben nach seinen Bedürfnissen einrichtete. Stattdessen übernahm sie Verpflichtungen wie Elternsprechstunden und Schulkomitees, richtete Geschäftsessenund Frühlingsfeste aus und verschloss die Augen vor allen Andeutungen, dass Oscar etwas mit anderen Frauen hatte.
Hinterfragte nicht. Klagte selten. Fand sich ab.
Mit der Zeit stellte sich eine Art gegenseitiges Einverständnis zwischen Sylvia und Eva ein. Sie teilten Oscar zwischen sich auf. Sylvia verwaltete seine knappe Zeit mit der Familie und Eva kümmerte sich um alles andere. Beide bewegten sich wie Monde in einer Umlaufbahn um die Sonne. Und diese Sonne war Oscar.
Dass ihr Verhältnis versandete, tat weh, aber an die Stelle der Leidenschaft trat eine andere Art von Nähe. Als Eva seine Liebe nicht bekam, verschaffte sie sich seine Aufmerksamkeit auf andere Art.
Sie machte sich
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