Tod im Schärengarten
hatten den Tag damit verbracht, weitere Zeugen zu vernehmen, Regatta-Konkurrenten von Oscar Juliander, die nach Abschluss der Gotland Runt nun wieder zurück in Sandhamn waren.
Ihm fiel auf, dass Nora so ausgeruht wirkte wie schon lange nicht. Sie war nicht mehr so mager wie in den vergangenen Wintermonaten. Auf ihrer Stupsnase leuchteten frische Sommersprossen unter der Sonnenbräune. Die dunklen Ringe unter den Augen waren fast verschwunden, und ihre neue Frisur mit den etwas längeren Haaren stand ihr gut und ließ sie etwas weicher erscheinen.
»Ach komm«, sagte Nora. »Du musst ja nichts sagen, was du nicht sagen willst oder darfst. Aber Juliander war so bekannt, da ist es doch wohl kein Wunder, dass ich frage?«
»Kanntest du ihn persönlich?«, fragte Thomas, während er herzhaft in die Schale mit Erdnüssen griff, die die Kellnerin auf den Tisch gestellt hatte. Seine Bestellung, ein Klub-Sandwich, war noch nicht gekommen. Nora, die mit ihrer Familie zu Abend essen wollte, hatte sich mit einem Leichtbier begnügt. Sie hatte Thomas eingeladen, zum Essen mit zu ihr nach Hause zu kommen, aber er hatte abgelehnt. Er musste die letzte Fähre nach Stavsnäs um halb acht erreichen.
»Ich habe ihn ein paar Mal getroffen. Er war ein richtig hohes Tier im KSSS . Henriks Eltern kannten ihn.«
»Hattest du geschäftlich mit ihm zu tun?«
»Nein. Aber er war ja sehr etabliert in den Stockholmer Juristenkreisen. Und die nehmen wirklich nicht jeden auf«, fügte sie mit einer Grimasse hinzu. »Kalling ist eine altehrwürdige Kanzlei, und Oscar Juliander war einer der führenden Insolvenzverwalter in Schweden.«
»Erklär mir mal, was so einer macht«, bat Thomas.
Er griff nach einer Ketchupflasche, die auf dem Nebentisch stand, und schüttete einen ordentlichen Klecks auf den Teller, den die Kellnerin gerade gebracht hatte.
»Ein Insolvenzverwalter«, sagte Nora und drehte ihr Bierglas zwischen den Händen, »ist jemand, der eine Firma abwickelt, die Konkurs gegangen ist.«
»Das ist mir schon klar. Aber was macht er genau?«
»Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dürfen Vorstand oder Geschäftsleitung nicht mehr über den Betrieb verfügen. Sie haben, mit anderen Worten, das Recht der Disposition über die Insolvenzmasse verloren.«
Thomas blickte Nora aus müden Augen an. Manchmal redeten diese Juristen in einer Sprache, die kein normaler Mensch verstand.
»Kannst du das auch vernünftig ausdrücken, bitte? Was bedeutet das?«
Nora lachte. »Das bedeutet, dass Vorstand und Geschäftsleitung sozusagen gefeuert sind. Das Gericht beauftragt einen Anwalt, das Unternehmen aufzulösen sowie Betriebsvermögen und Schulden abzuwickeln.«
»Wie geht das vor sich?«
»Das kommt darauf an. Manchmal verkauft man das Firmenvermögen Stück für Stück oder aber im Ganzen. Manchmal kaufen die ehemaligen Eigentümer den Betrieb aus der Insolvenzmasse zurück und fangen noch einmal von vorn an.«
»Ist das erlaubt?«
»Warum nicht? Ziel ist eine Maximierung der Erlöse, um die Gläubiger zu befriedigen. Wenn man einen guten Preis erzielen kann, indem man an die alten Eigentümer verkauft, ist das nicht verboten. Höchstens unmoralisch.«
Thomas blickte sie zweifelnd an. In seinen Ohren klang das gleichermaßen unerlaubt wie unethisch. Aber nicht er war der Jurist, sondern Nora.
»Oscar Juliander fungierte also als eine Art außerordentlicher Geschäftsführer bei einer Reihe von Unternehmen?«
»Ja, so ungefähr.«
»Hast du irgendwann mal etwas Nachteiliges über ihn gehört? Etwas, das nicht zu seinem öffentlichen Bild passt?«
Nora lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. In Gedanken ging sie den Klatsch und Tratsch durch, der in Stockholm florierte. Er war definitiv ein Frauenheld gewesen. Bei den Festen der Anwaltskammer flirtete er gern mit den hübschen jungen Juristinnen. Aber was hatte sie sonst noch über Oscar Juliander gehört?
Sie schüttelte den Kopf.
»Er hatte einen guten Ruf. Und reichlich Geld, glaube ich.«
»Du hättest sein Haus in Saltsjöbaden sehen sollen. Drei Autos auf der Garagenauffahrt.«
»Die Swan, mit der er an der Regatta teilnehmen wollte, muss eine Stange Geld gekostet haben«, fuhr Nora fort. »Und sie haben ein schönes Landhaus auf Ingarö, nicht weit vom Sommerhaus meiner lieben Schwiegereltern entfernt.«
Sie zwinkerte Thomas ironisch zu. Er kannte Harald und Monica Linde und wusste genau, was sie meinte.
»Aber als Anwalt verdient man doch wohl auch sehr gut?
Weitere Kostenlose Bücher