Tod im Schärengarten
wahrnahm. Er drehte den Kopf und erkannte unter der Wasseroberfläche einen Fischschwarm schräg vor dem Kajak. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Was für ein herrlicher Anblick: die silbern schimmernden Fische, die pfeilschnell vor dem Bug dahinglitten.
Als er eine Weile später Hästskär erreicht hatte, schob er den Kajak zwischen das Schilf der kleinen Bucht, setzte sich ans Ufer und verzehrte den mitgebrachten Proviant. Dann streckte er sich auf dem Handtuch aus und schloss die Augen. Ehe er sich versah, war er in der Abendsonne eingeschlafen.
Als er aufwachte, war fast eine Stunde vergangen. Sein rechter Arm, der unter dem Kopf gelegen hatte, war eingeschlafen und ganz taub und steif. Er massierte ihn, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen. Immer noch schläfrig griff er nach der Wasserflasche und nahm einen ordentlichen Zug.
Er hatte vom Start der Gotland-Runt-Regatta geträumt.
Thomas fuhr sich mit der Hand durchs Haar und versuchte, sich den Traum in Erinnerung zu rufen. Er war in einem kleinen Boot draußen auf dem Meer gewesen, umgeben von anderen Zuschauerbooten. Alle warteten hoch konzentriert auf den Start. Vor dem Horizont ragte das graue Startfahrzeug auf.
Im Traum hatte er auf dem Vordeck gestanden, breitbeinig und mit einem Gewehr in der Hand. Vor ihm lag die Emerald Gin , bereit, jeden Moment die Startlinie zu überqueren. Er war nur fünfzig Meter von der schönen Swan entfernt, deren Rumpf in der Sonne glänzte. Mit eiskalter Berechnung zielte er sorgfältig auf Oscar Juliander, der am Ruder stand. Er konnte sein breites Lachen sehen. Gleich hinter ihm erkannte er Fredrik Winbergh.
Aber gerade als Thomas abdrückte, schaukelte das Deck unter ihm ordentlich. Eine große Welle hatte sein Boot angehoben und er verlor das Gleichgewicht. Der Schuss ging los, verfehlte sein Ziel aber um mehrere Meter.
Mit einer Hand an der Reling sah er zu, wie Juliander an ihm vorbeisegelte und Richtung Horizont verschwand.
Das war ein unheimlich realer Traum gewesen. Er sah noch direkt vor sich, wie das Deck zu schaukeln begann und wie die plötzliche Bewegung dazu führte, dass der Schuss ins Leere ging. Genau in dem Moment, als er die Gelegenheit hatte, sein Opfer zu töten.
Plötzlich wurde ihm etwas klar.
Der Schütze musste sich auf einem großen, stabilen Schiff befunden haben.
Sie hatten sich davon blenden lassen, dass an jenem Tag nur eine schwache Brise wehte und das Meer ungewöhnlich ruhig war. Daraus hatten sie gefolgert, dass der Schuss von jedem beliebigen Boot gekommen sein konnte.
Ihm fiel wieder ein, wie er bei der Obduktion mit Sachsen über die Wellenbewegungen diskutiert hatte. Aber was sie nicht bedacht hatten, waren die vielen Zuschauer, die dafür sorgten, dass das Meer trotzdem unruhig war. Wenn eine große Anzahl Boote in einem relativ eng begrenzten Bereich dümpelte, lösten die Rumpfbewegungen Wellen aus, auch dann, wenn kein nennenswerter Wind wehte. Ein kleineres Boot würde darauf stärker reagieren, vermutlich so stark, dass es unmöglich war, von dort aus ein anvisiertes Ziel zu treffen.
Aber wenn der Mörder an Bord einer großen Jacht gestanden hatte, die von einem durchgehenden Kiel stabilisiert wurde, spielte das keine Rolle. Dann hätte der Schütze die Balance halten und sicher zielen können, trotz des Wellengangs.
Thomas spürte, wie sein Körper vor Aufregung zu kribbeln begann.
Wie viele große Jachten hatten in dem goldenen Dreieck, wie Margit es nannte, gelegen? Vermutlich nicht sehr viele. Definitiv keine siebenundzwanzig.
Wenn seine Überlegungen stichhaltig waren, konnten sie die Mehrzahl der Zuschauerboote außer Acht lassen. Und das Boot, auf dem sich der Mörder befunden hatte, wäre viel leichter einzukreisen.
Sobald er zurück auf der Polizeistation war, musste er sich das Foto noch einmal genau ansehen. Morgen früh würde er die erste Fähre von Harö zurück in die Stadt nehmen.
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Mittwoch, dritte Woche
Kapitel 45
Alle waren im großen Konferenzzimmer der Polizeistation versammelt. Es war sparsam möbliert: ein langer Tisch und acht Stühle, ein großer Papierblock auf einem Flipchart und am Kopfende eine Weißwandtafel.
Das Einzige, was die dürftige Ausstattung aufwog, war die Aussicht aufs Wasser. Von hier aus konnte man tagsüber die großen Fährschiffe beobachten, die Scharen von entzückten Touristen in das Venedig des Nordens brachten.
An der einen Wand war das vergrößerte Foto aus dem
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