Tod im Schärengarten
studiert hatte, war ihm aufgegangen, dass er selbst eines der noch übrigen Boote kannte. Es gehörte einem fünfundsiebzigjährigen Nachbarn auf Harö, ein Bekannter seiner Eltern. Es fragte sich allerdings, ob der Mann Oscar Juliander gekannt hatte.
Jetzt hatten sie neunzehn der siebenundzwanzig Boote auf dem Foto durchgestrichen. Ihre Eigentümer würden der Reihe nach vernommen werden.
Die Ermittlung kam voran, wenn auch mit sehr kleinen Schritten.
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Dienstag, dritte Woche
Kapitel 44
Thomas hatte die Station am frühen Nachmittag verlassen und war nach Harö hinausgefahren. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, und schließlich hatte er es aufgegeben und alle Listen und Berichte auf dem Schreibtisch ihrem Schicksal überlassen.
Er musste den Kopf frei bekommen.
Schon auf der Fähre fiel ihm das Atmen leichter, und sobald er in seinem Haus angekommen war, suchte er etwas zu essen zusammen und kochte eine Thermoskanne Kaffee, packte alles in eine wasserdichte Kühltasche und ging hinunter zum Steg. Dort hob er seinen Kajak vom Holzgestell und ließ ihn vorsichtig zu Wasser.
Den Proviant verstaute er vorn im Bug. Er zog eine Schwimmweste an, setzte sich vorsichtig in die Mitte des schmalen Rumpfes, holte tief Luft und griff nach dem Paddel.
Endlich durchatmen.
Zunächst wollte er an Sandhamn vorbeipaddeln, dann einen weiten Bogen schlagen und nach Stora Hästskär hinaus, einer Insel südlich von Sandhamn. Sie war viele Jahre lang vom Militär genutzt worden, das dort eine Radarstation betrieben hatte. Damals war die Insel Sperrgebiet gewesen, niemand hatte sie betreten dürfen. Bereits vor etlichen Jahren war Hästskär vom Militär aufgegeben worden, aber aus alter Gewohnheit hielten die Menschen sich trotzdem von der Insel fern.
Das passte Thomas ausgezeichnet.
Mit routinierten Armschlägen trieb er den Kajak nach Südosten voran. Das Paddel war fast zweieinhalb Meter lang und er nahm schnell Fahrt auf. Kein Lüftchen regte sich, das Meer war spiegelglatt und es kam ihm vor, als würde er durch wogende Seide gleiten.
Er genoss die Stille um sich herum. Es war ein überwältigendes Gefühl, in einem so winzigen Boot mitten auf dem Meer unterwegs zu sein. So als würde man von unten zur Natur aufschauen, ohne sich jedoch unter der Oberfläche zu befinden. Eine ganz andere Perspektive als in einem normalen Boot.
Als er sich der Fahrrinne nach Sandhamn näherte, blickte er automatisch zum Steg der Lindes hinüber. Es war gerade erst sieben Uhr abends, vermutlich saßen Nora und ihre Familie immer noch beim Abendessen.
Er lächelte, als er an Simon dachte. Es machte immer viel Spaß, mit ihm zu reden. Simon liebte es, lange Vorträge über dieses und jenes zu halten, er hatte ein helles Köpfchen, das voller Ideen steckte.
Auch wegen der Jungs hoffte Thomas, dass Henrik und Nora sich darüber einigten, was sie mit der Brand’schen Villa anfangen sollten. Wie konnte es angehen, dass man sich wegen eines alten Hauses so oft stritt, das war es doch wohl nicht wert. Aber bei Henrik wusste man nie.
Thomas kannte ihn nicht gut genug, um zu verstehen, wie er argumentierte. Er wusste nur, dass Henriks Art der Argumentation ganz anders war als seine eigene. Noras Mann beurteilte seinen Erfolg durch die Augen anderer. Für ihn war es wichtig, wen man kannte und in welchen Kreisen man sich bewegte. Dass Nora sich in einen Mann verliebt hatte, der in dieser Hinsicht so ganz anders war als sie, erstaunte Thomas immer noch. Nora wurde von einer inneren Überzeugung getrieben, was richtig und was falsch war. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, die Menschen in ihrer Umgebung nach ihrem Status oder ihren Beziehungen zu bewerten.
Es war offensichtlich, dass der Graben zwischen Nora und Henrik tiefer wurde. Henrik machte sich mehr und mehr die Werte seiner Eltern zu eigen. Seine Erziehung und seine Familientraditionen holten ihn langsam ein, und Nora wurde darüber immer stiller und unglücklicher.
Aber Thomas wusste auch, was für ein Dickschädel seine Jugendfreundin war. Sie würde bis zum Letzten für den Erhalt ihrer Ehe kämpfen. Und sei es der Kinder wegen. Nora war einer der loyalsten Menschen, die Thomas kannte, sie würde niemals leichtfertig etwas versprechen. Deshalb war es auch so offensichtlich, wie sehr sie unter dem Konflikt zwischen Signes letztem Willen und Henriks Ansprüchen litt.
Thomas hob den Arm zu einem neuen Paddelschlag, als er plötzlich aus dem Augenwinkel eine Bewegung
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