Tod im Schärengarten
eingeschlafen, hatte aber unruhig und schlecht geträumt. Als er nach nur sechs Stunden aufwachte, beschloss er, die Insel zu verlassen. Er konnte ihre Ausbrüche nicht mehr ertragen. Wenn sie ein paar Tage getrennt waren, kam sie vielleicht wieder zur Besinnung.
Mit einem weiteren tiefen Seufzer stieg er aus dem Auto und ging zum Kofferraum. Darin hatte er eine kleine Tasche, in der sich das Nötigste für eine Übernachtung befand.
Noch ehe er das Haus erreicht hatte, stand seine Mutter schon in der Tür.
»Henrik, Liebling«, sagte sie und küsste ihn auf beide Wangen.
»Hallo, Mama.«
Mit der Tasche in der Hand betrat er das Haus.
»Kaffee ist gerade fertig. Setz dich. Hast du schon gegessen? Soll ich dir ein Brot machen?«
Sie schwirrte um ihn herum wie ein aufgeregter Kolibri. Der Mund stand nicht still und die Hände machten kleine fürsorgliche Gesten.
»Wie geht es dir, mein Junge. Wie schön, dass du gekommen bist, dann kann ich dich ordentlich verwöhnen. Manchmal verstehe ich Nora nicht, sie ist so«, sie suchte nach dem passenden Wort, »so irrational. Ja, genau das ist sie. Und egoistisch. Sie denkt nur an sich selbst.«
Henrik hatte seine Mutter am Morgen angerufen, um Bescheid zu sagen, dass er kommen würde. Er hatte kurz geschildert, was sich zwischen ihm und Nora abgespielt hatte, und Monica war ganz Ohr gewesen. Wie immer stand sie vorbehaltlos auf seiner Seite. Natürlich war er auf Ingarö willkommen, um sich ein paar Tage zu erholen.
Henrik ging ins Wohnzimmer und nahm auf dem gestreiften Ecksofa Platz. Ein gemütlicher Raum, das hatte er schon immer gefunden. Er lag hell und sonnig nach Südwesten, und außer dem großzügigen Sofa gab es noch zwei bequeme Sessel mit dazugehörenden Fußhockern.
Während seine Mutter in der Küche hantierte, griff er aus alter Gewohnheit nach der Fernbedienung, die auf dem Tisch lag, und schaltete den Videotext ein. Seine Mutter kam mit einem Tablett ins Zimmer.
»Könntest du das wohl ausmachen, Henrik«, sagte sie seufzend. »Dein Vater hat im Moment dauernd den Fernseher an, es kommt mir vor, als würde er ununterbrochen laufen.«
»Wo ist Papa denn?«, fragte Henrik, ohne den Blick von der Mattscheibe abzuwenden.
»Auf einen Sprung zu den Nachbarn gegangen. Er kommt sicher gleich. So lange können wir uns ja ein bisschen unterhalten.«
Seine Mutter stellte zwei Kaffeegedecke auf den Tisch und reichte ihm einen Teller mit einem Leberwurst- und einem Käsebrot.
»Hier bitte, ich will nur rasch den Streuselkuchen holen, bin gleich wieder da.«
Sie eilte in die Küche. Henrik biss ins Käsebrot und schaltete auf einen anderen Kanal. Als Monica zurückkam, machte er den Fernseher aus, um ihr gefällig zu sein.
»Nun erzähl doch mal, Junge«, sagte Monica Linde. Sie sah ihren Sohn zärtlich an und hielt ihm den Kuchenteller hin. »Was ist passiert?«
»Ich liebe dich«, flüsterte er verwundert.
Dass es so leicht war, diese Worte zu sagen.
Er hatte nicht gewusst, dass er sie noch aussprechen konnte, nach all den Jahren und all den Lügen. Aber plötzlich waren sie einfach da, ganz selbstverständlich, so als lebten sie ihr eigenes Leben.
Dankbarkeit erfüllte ihn.
So fühlte es sich an, zu lieben und geliebt zu werden. Wie hatte er das vergessen können?
Er betrachtete das Gesicht vor sich. Mit dem Handrücken strich er vorsichtig über die Wange und weiter den Hals hinab und über die Brust.
Dass Haut so weich sein und so gut duften konnte.
»Danke, dass es dich gibt«, flüsterte er. »Ich liebe dich so sehr. Was sollte ich nur ohne dich anfangen?«
»Ich liebe dich auch.«
Die vertraute Stimme war wie eine Liebkosung. Sie küssten sich, und das Verlangen flammte erneut auf. Breitete sich durch den ganzen Körper aus und machte ihn schwindlig vor Begierde.
»Ich lasse dich nicht mehr los«, sagte er heiser. »Nie mehr.«
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Montag, vierte Woche
Kapitel 57
»Hallo, spreche ich mit Thomas Andersson?«
Die helle Frauenstimme am Telefon war kaum zu hören, sie zitterte und es dauerte einen Moment, bis Thomas begriff, wer dran war.
Diana Söder, Julianders Geliebte. Und Ingmar von Hahnes Mitarbeiterin in der Galerie am Strandvägen.
Thomas saß an seinem Schreibtisch. Es war kurz vor halb zehn vormittags. Der Himmel war grau und bedeckt und kündigte an, dass das kurze Hoch dabei war, sich zu verabschieden.
»Was kann ich für Sie tun? Sie klingen aufgeregt.«
»Ich will Ihnen etwas sagen, glaube ich …«
Am anderen
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