Tod im Tal der Heiden
benötige. Aber du brauchst nicht auf mich zu warten. Ich finde selbst den Weg zurück.«
Laisre zögerte, dann nickte er.
»Wenn sich unsere Wege nicht früher kreuzen, sehe ich dich morgen vor dem Mittag im Rat.«
Er ging, und Fidelma wandte sich wieder den Buchtaschen zu. Sie suchte einen bestimmten Gesetzestext und fragte sich, ob der Brehon ihn wohl in seiner Sammlung von ungefähr zwanzig Texten besaß.
Schließlich fand sie das Gesuchte. Es war eine Abhandlung mit dem Titel
Allmuir Sét
und betraf den Verkauf ausländischer Waren. Sie verbrachte eine halbe Stunde damit, den Text zu lesen, dann verstaute sie ihn wieder in seiner Tasche und hängte sie an den Pflock.
Mit nachdenklicher Miene verließ sie den Raum, stieg die Treppe hinab zum Hof und ging zuversichtlich zum Gästehaus.
KAPITEL 10
Fidelma überquerte gerade den Hof, als Hufschlag am Tor des
rath
sie sich umwenden ließ. Er kündigte eine Reiterschar an, und Fidelma erkannte sofort Colla und Artgal an ihrer Spitze. Sie hielten und stiegen ab. Fidelma ging hinüber zu Colla, der seinen Sattelgurt lockerte.
»Also, Colla, was gibt es Neues?« fragte sie ohne Vorrede.
Der Tanist von Gleann Geis schaute mit säuerlicher Miene auf. Er war anscheinend wenig erfreut, sie zu sehen.
»Eine vergebliche Jagd«, verkündete er. »Ich hatte auch kaum etwas anderes erwartet.«
»Was hast du gefunden?« drängte sie.
»Sehr wenig«, meinte er wegwerfend. »Die Raben hatten sich satt gefressen. Kaum noch was zu sehen. Meine Männer und ich folgten einigen Spuren, aber die verloren sich bald auf dem steinigen Boden. Ich konnte lediglich feststellen, daß sie nach Norden führten.«
»Und?« forschte Fidelma. »Seid ihr ihnen nachgeritten?«
»Der Boden war steinig, wie ich schon sagte. Die Spuren waren bald verschwunden. Wir sahen uns so lange um, wie wir konnten, aber dann blieb uns weiter nichts übrig, als zurückzukehren.«
Unzufrieden kniff Fidelma die Augen zusammen.
»Soll ich das so nach Cashel berichten? Daß dreiunddreißig junge Männer hier in einem Ritualmord umgebracht wurden und nichts darüber festgestellt werden konnte?«
Colla richtete sich auf und blickte sie trotzig an.
»Ich kann keine Begründung aus dem Nichts hervorzaubern, Fidelma von Cashel. Selbst du hättest eine nicht vorhandene Spur nicht weiter verfolgen können.«
»Aber du sagst, die Spuren führten nach Norden? Wie weit seid ihr ihnen gefolgt?«
»Bis zu dem Ort, an dem sie nicht mehr sichtbar waren.«
»Welches Land liegt nördlich davon?« wollte Fidelma wissen.
»Die Corco Dhuibhne wohnen direkt nördlich von diesen Tälern.«
Fidelma preßte die Lippen zusammen.
»Sie sind ein ganz angenehmer Clan, und Fathan, ihren Fürsten, kenne ich. Diese Untat trägt nicht ihre Handschrift. Welche Länder liegen jenseits davon?«
»Nun, im Nordosten das Land deines Vetters, Congal von den Eóghanacht von Loch Léin, des Königs von Iarmuman. Findest du seine Handschrift darin?«
Fidelma mußte zugeben, daß sie das nicht tat.
»Aber dahinter liegt das Land der Uí Fidgente«, meinte sie nachdenklich.
Collas Augen verengten sich.
»Suchst du einen Sündenbock?« fragte er. »Die Uí Fidgente liegen zur Zeit am Boden. Dein Bruder hat sie bei Cnoc Áine besiegt. Sie sind schwach und zu keiner feindseligen Handlung fähig. Willst du sie bis zu ihrer Vernichtung verfolgen?«
»Nur, wenn sie für diese Übeltat verantwortlich sind«, erklärte Fidelma.
»Na, noch eins – sie sind ein christliches Volk, also sind sie doch wohl über jeden Verdacht erhaben?« höhnte Colla.
Artgal kam herbei, nahm das Pferd des Tanist und führte es in den Stall. Er entließ die anderen Krieger zu ihren Wohnungen.
Fidelma schaute Colla einen Moment an und sagte dann, wobei sie jedes Wort abwog: »Im Augenblick und ohne Beweise, Colla, können wir nicht sagen, wer den Mord an den jungen Männern begangen hat, außer daß die Art, in der die Leichen angeordnet wurden – unabsichtlich oder absichtlich – jeden, der sie fand, auf heidnische Symbolik hinweisen sollte.«
Sie dankte ihm kühl für seine Bemühungen und ging weiter ins Gästehaus.
Dort traf sie nur Eadulf an. Er saß am Tisch und bediente sich reichlich aus einem Krug mit kaltem Wasser.
»Geht es dir schon besser?« fragte sie aufmunternd.
Er zwang sich zu einem Lächeln. Sein Gesicht war noch blaß.
»Ein bißchen, aber nicht viel.«
»Hast du Lust, eine Einladung Laisres zu einem weiteren Fest anzunehmen?«
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