Tod im Weinkontor
begriffen, um mich
innerlich endgültig von meinem Gemahl zu lösen. Er hat
es verdient, in der Hölle zu schmoren.« Als sie
Andreas’ gequälten Blick sah, stand sie auf.
»Ich weiß, dass Ihr große Stücke auf
Ludwig gehalten habt, aber vielleicht wird Euch das, was ich Euch
gleich zeigen werde, die Augen öffnen.« Sie
verließ die Stube.
Andreas hoffte, dass sie bald zurückkehrte. Er wollte
Gott nicht warten lassen. Schon schlug Sankt Kolumba von fern die
halbe Stunde.
Die Tür flog knarrend auf, Barbara Leyendecker kam mit
schnellem Schritt herein, eine Säule aus schwarzer Starre
und Entschlossenheit, und hielt Andreas ein kleines, übel
riechendes Buch unter die Nase. Andreas nahm es in die Hand und
schlug die Titelseite auf.
»De Potestate super spiritibus malignis« stand da
in handgeschriebenen Lettern; die Angabe des Autors und des
Jahres, in dem das Oktavbändchen geschrieben worden war,
fehlten. »Die Macht über die bösen
Geister«, murmelte Andreas. »Was für ein
bezeichnender Titel. Wo habt Ihr es gefunden?«
»In Ludwigs Truhe, ganz unten, zwischen der
Leibwäsche.«
Andreas blätterte das Buch kurz durch. Es enthielt
Beschwörungen, Zauberdiagramme und Anleitungen für
schreckliche, blasphemische Rituale. Angewidert warf er das Buch
von sich. Es fiel vor Barbaras Füßen auf den Boden und
schien ganz kurz über der dünnen Sandschicht zu
schweben, als wolle es die Berührung mit den reinen
Körnern vermeiden. Dann landete es auf dem Boden, und eine
kleine Staubwolke stieg auf.
»Ist Euch das Beweis genug?«, fragte Barbara mit
einem triumphierenden Lächeln. »Es tut mir Leid, das
Bild zerstören zu müssen, das Ihr von Ludwig hattet.
Auch mich hat er getäuscht. Unter seiner freundlichen
Oberfläche glühte ein böser Geist.«
Andreas schüttelte den Kopf. Nein, das konnte er einfach
nicht glauben. Er hatte Ludwig so gut gekannt – den
lebenslustigen, fröhlichen, hilfsbereiten,
verlässlichen Ludwig. Konnte ein Mensch wirklich zwei
einander völlig entgegengesetzte Seiten haben und sie
überdies vor seinen Mitmenschen so erfolgreich verbergen?
Andreas starrte auf das auf dem Boden liegende Buch, als
könne es ihn jederzeit anspringen. Es war in der Tat
unumstößliche Wirklichkeit. Was hatte Ludwig darin
gesucht?
Die Messe rief ihn, doch er wollte noch einen letzten Versuch
machen. »Könntet Ihr mir den Ort seines Selbstmordes
zeigen?«, fragte er die Witwe Leyendecker.
Sie lächelte ihn an, wirkte nun ganz sanft und stand auf.
»Wenn Ihr es wünscht…«
Oben unter dem Dach, durch dessen Ziegelritzen der Wind pfiff,
zeigte sie Andreas den Balken, an dem sich Ludwig erhängt
hatte. »Ich habe hier nichts verändert; ich bin
seitdem nicht mehr in diesem Raum gewesen«, sagte sie und
deutete auf das abgeschnittene Seil und den Hocker, der darunter
lag. Er war offenbar umgefallen, als Ludwig in der Schlinge
gezappelt hatte.
Andreas betrachtete nachdenklich das im Luftzug baumelnde
Seil, die am Boden liegende Schlinge und den kurzbeinigen Hocker.
Dann schaute er hoch zum Dachbalken, um den das Seil geschlungen
war.
Irgendetwas stimmte hier nicht.
Regen setzte ein und prasselte auf das Schieferdach; es war
ein trommelndes, forderndes Geräusch.
Noch fordernder waren die Glockenschläge von Sankt
Kolumba. Er kam zu spät zur Messe.
Beim fünften und letzten Schlag wusste er, was ihm das
Gefühl großen Unbehagens verursachte.
Ludwig war klein gewesen; er hatte immer Mühe gehabt, bei
den aufeinander gestapelten Fässern an das dritte zu
reichen, doch der Abstand zwischen dem stehenden Hocker und der
Schlinge des Seils musste sogar mehr als drei Fässer
betragen haben.
Ludwig hätte, wenn er auf dem Hocker stand, gar nicht an
die Schlinge herangereicht.
Also konnte sich Ludwig keinesfalls selbst umgebracht
haben.
FÜNF
Gott hatte ihm in Gestalt des Pastors Hülshout eine
Strafpredigt gehalten, als er zu spät zur Feier der
Seelenmesse am Marienaltar kam, die eine ewige Stiftung der Witwe
Hennecke war. Andreas war nicht bei der Sache gewesen, auch
nicht, als er die Wandlung vollzog und Gott sich in Gestalt von
Brot und Wein in seiner unmittelbaren Nähe befand. Er
schaute hoch zu der neuen Empore und den beiden schon
eingewölbten östlichen Jochen, dann warf er einen
kurzen Blick hinter sich auf die Gerüste im Dämmerlicht
einiger Kerzen und wurde sich angesichts dieser gewaltigen
Baustelle
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