Tod im Weinkontor
Häusern waren kaum mehr als blinde Spiegel der Finsternis.
Andreas führte Elisabeth durch die Brückenstraße,
die Obenmarspforten entlang, an der düsteren kleinen
Michaelskapelle vorbei, die früher die Kapelle des
Kölner Rates gewesen war und seit dem Neubau des Rathauses
nicht mehr benutzt wurde. Schließlich kamen sie zum Alten
Markt, der tagsüber vor Ständen mit Gemüse, Obst,
Gewürzen, Drugwaren, Lederwaren, Geschirr und Kurzwaren
überquoll, doch nun verlassen und still dalag.
Alle Kaufleute hatten noch vor der letzten Messe ihre
Stände abgebaut, waren in die Kirchen geströmt und
hatten sich danach auf den Heimweg begeben. Ein offensichtlich
sehr reicher Kaufmann im kostbaren Wams und mit edlen
Lederschuhen kam hinter einem Lichtträger über den
Markt, obwohl es noch gar nicht so dunkel war, dass man unbedingt
eine Laterne benötigt hätte.
Andreas sah den beiden nach, wie sie in Richtung Rathaus
verschwanden, und meinte dann zu Elisabeth: »Wir sollten
uns nicht zu sicher sein, dass die Witwe Eures Bruders etwas mit
seinem Tod zu tun hat. Beim Gespräch mit ihr ist mir noch
eine andere Idee gekommen.«
Elisabeth blieb stehen. Sie hielt sich so weit von ihm
entfernt wie möglich, ohne ihn loslassen zu müssen, und
sah ihn fragend an.
Er betrachtete sie kurz. Der getrocknete Lehm hatte ihrem
schönen grünen Kleid hässliche Schlieren
aufgedrückt. Nun war sie ein Kind der Erde und des Himmels
zugleich. Andreas wunderte sich über seine seltsamen
Gedanken. Rasch sagte er: »Es wäre doch möglich,
dass der Mord an Ludwig geschäftliche Hintergründe
hat.«
»Warum?«, wollte Elisabeth wissen, der sein
inniger Blick wohl nicht entgangen war, denn sie machte sich von
ihm los.
»Hatte Ludwig Feinde? Gab es Leute, die ihm sein
kaufmännisches Geschick neideten? Vielleicht wisst Ihr, dass
Köln im Augenblick unter der Verhansung, also dem Ausschluss
aus dem Bund der Hanse, leidet – mit Ausnahme jener
Kaufleute, die gute Geschäfte mit England machen. Als
Weinhändler war Ludwig einer der Gewinner; Barbara
Leyendecker hat von überall her die letzten Weinreserven
aufgekauft, um sie in England zu vergolden. Vielleicht gibt es in
dieser Richtung ein Motiv?«
Elisabeth öffnete den Mund; es hatte den Anschein, als
wolle sie Andreas vehement widersprechen. Doch sie sagte nichts,
sondern setzte den Weg fort. Schweigend gingen sie über den
Heumarkt, kamen an der verwaisten erzbischöflichen
Münze vorbei und näherten sich dem Rhein. Als sie in
die Rheingasse einbogen, brach Elisabeth endlich das
Schweigen.
»Ja, da gibt es eine Sache, die Ihr vielleicht wissen
solltet«, sagte sie zögerlich. »Es fällt
mir nicht leicht, darüber zu sprechen, denn ich will das
Andenken meines Bruders nicht in den Schmutz ziehen.«
Nun war es an Andreas, ihr einen fragenden Blick
zuzuwerfen.
Sie fuhr fort: »Es gibt einen Weinhändler namens
Johannes Dulcken, den Ludwig aus dem Englandhandel gedrängt
und der ihm deshalb ewige Feindschaft geschworen hat.«
»Und das sagt Ihr mir erst jetzt?«, rief Andreas
barscher, als er gewollt hatte. »Ihr habt mich
möglicherweise auf eine falsche Fährte
angesetzt.«
»Bitte regt Euch nicht auf. Ich bin immer noch der
Meinung, dass Ludwigs Frau schuld an seinem Tod ist: Dieser
Dulcken hatte schlechten Wein verkauft, und das zu
überhöhten Preisen. Also hat er sich sein Elend selbst
zugefügt. Ludwig erzählte mir einmal, dass Dulcken, der
sein ärgster Konkurrent war, zu gierig geworden sei und
gepanschten Wein angeboten habe, um seinen Gewinn zu
vergrößern. Er hatte guten mit schlechtem Wein
versetzt, Alaunsteine in die Fässer gehängt, Blut oder
Eiweiß hinzugefügt, wenn die Farbe nicht nach seinem
Willen war, und manchmal Zucker oder Rosinen
beigegeben.«
»Es ist doch üblich, den Wein zu
würzen«, meinte Andreas.
»Nicht, wenn man ihn verkauft. Nach dem eigenen
Geschmack bereitet ihn erst der Kunde in seiner eigenen
Küche zu. Bei der Lieferung aber muss er rein und vollkommen
sein. Dulcken hat sich daran nicht gehalten und ist Opfer seiner
Habgier geworden.«
»Wo finde ich diesen Dulcken?«, fragte Andreas,
als sie bereits vor dem Bonenberger Haus mit seinen großen
Blendarkaden und dem hohen Backsteingiebel standen.
»In der Vorhölle«, flüsterte Elisabeth,
bevor sie die Stufen hinaufschritt.
SECHS
In der Nacht hatte Andreas schlecht geschlafen. Er war in die
Hölle
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