Tod im Weinkontor
selbst setzte sich im Schneidersitz auf
den blank gescheuerten Holzfußboden.
Die Kammer war nicht groß. Schatten klebten
überall. Das einzige Fenster steckte neben der Tür und
maß kaum eine Elle im Quadrat. Eine Stiege im hinteren Teil
führte in den ersten Stock, wahrscheinlich zum Schlafraum
des seltsamen Küsters.
Heynrici sagte: »Verzeiht, dass ich Euch weder Wein noch
Bier anbieten kann. Ich trinke keinen Alkohol und habe daher auch
keinen im Hause. Wollt Ihr einen Becher Wasser haben?«
Andreas und Elisabeth lehnten ab. Sie sahen sich erstaunt um
und wähnten sich in einer anderen Welt. Der Kaplan sagte
schließlich: »Ihr habt den Ruf eines Heiligen,
Heynrici. Darf ich fragen, wieso Ihr Euch hierher
zurückgezogen habt?«
»Seid Ihr hergekommen, um mich das zu fragen?«,
meinte er. Seine dunklen Augen glitzerten belustigt. »Ich
will Euch aber gern antworten. Nachdem ich meinen Sitz im Rat der
Stadt aufgegeben hatte, starb meine liebe Frau, und ich hatte
keine Freude mehr am Leben. Ich wollte etwas tun, das den
Ärmsten der Armen zugute kommt. Daher habe ich all mein Geld
Melaten vermacht und bin hergezogen, um mich um die
Aussätzigen zu kümmern, vor denen jedermann eine so
große Furcht hat. Ich versehe Küsterdienste, mache
Besorgungen für die Kranken und helfe bei der Lepraschau,
wenn sich die Ärzte nicht bereit erklären, die
Aussätzigen anzufassen.«
»Ihr setzt dabei Euer Leben aufs Spiel«, bemerkte
Elisabeth beeindruckt. Andreas sah, wie sie an den Lippen des
alten Mannes hing. Nichts anderes schien für sie mehr zu
existieren. Er hatte sie ganz in seinen Bann gezogen.
»Ja, aber ich bin schon alt und habe mein Leben gelebt.
Was soll mir denn noch passieren?«, sagte Heynrici langsam.
»Endlich kann ich einmal etwas tun, was den Menschen
unmittelbar zugute kommt.«
Andreas gefiel nicht, wie Elisabeth den alten Mann ansah. Er
räusperte sich und fragte: »Was habt Ihr über den
Tod Ludwig Leyendeckers gehört?«
Heynrici richtete den Blick auf ihn. Er zog die weißen,
buschigen Brauen zusammen. »Eine furchtbare Sache. Stimmt
es, dass er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben
soll?«
»Es geht das Gerücht um, aber wir glauben es
nicht«, sagte Andreas und stützte die Hände auf
die Knie.
»Es ist gut, dass Ihr es nicht glaubt«, pflichtete
Heynrici ihm bei. »Dass Ludwig Leyendecker ein Bündnis
mit dem Widersacher Christi eingegangen sein soll, ist
lächerlich. Das hatte er gar nicht nötig. Er war ein
gewitzter Kaufmann. Immer, wenn es günstige Ernten an Mosel,
Rhein oder Nahe gab, war er zur Stelle. Er kannte den Wein besser
als jeder andere. Manchmal glaube ich, er brauchte nur die
Fässer anzuschauen, um zu wissen, wie viel Fruchtzucker der
Wein hat und von welchen Lagen er kam. Warum sollte so jemand,
der überdies noch ausgezeichnete Kontakte vor allem nach
London hatte, den Teufel zu Hilfe rufen?«
»Ganz meine Meinung«, stimmte Elisabeth eifrig zu.
»Es muss um etwas völlig anderes gegangen sein.«
Sie berichtete ihm alles, was Andreas und sie bisher
herausgefunden hatten. Heynrici hörte schweigend zu, nickte
manchmal, sagte aber nichts. Schließlich sagte Elisabeth:
»Aus diesen Gründen glauben wir an einen Mord.
Könnte er etwas mit der Verhansung Kölns zu tun
haben?«
»Mit dem Hinauswurf Kölns aus dem hansischen
Bund?« Heynrici fuhr sich mit der langgliedrigen Hand durch
den Bart. »Schwer zu sagen.«
»Wir haben gehört, dass er Feinde im Rat
hatte«, warf Andreas ein.
Heynrici erhob sich so mühelos aus dem Schneidersitz, als
würde er von einem hohen Stuhl aufstehen, und ging in dem
kleinen Zimmer auf und ab. »Jedermann im Rat hat Feinde,
das ist ganz natürlich. Es stimmt, dass Leyendecker damals
entschlossen für den Englandhandel gestimmt hat –
genau wie ich übrigens. Wir waren der Meinung, dass wir
diese alte Tradition nicht der Hanse opfern dürfen.
Natürlich gab es auch Gegenstimmen. Sie kamen vor allem von
jenen Kaufleuten, denen die Verhansung schwere Schäden
zugefügt hätte, was dann ja auch geschehen
ist.«
»Könnte einer der Verlierer meinen Bruder
umgebracht haben?«, fragte Elisabeth, die jeder Bewegung
Heynricis mit den Augen folgte.
Der alte Mann blieb stehen und sah sie nachdenklich an.
»Ja, das wäre möglich. Aber warum hat dieser Mord
dann erst vier Jahre nach der Verhansung
stattgefunden?«
Andreas nickte. Das war ein gutes Argument, das ihm noch
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