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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Rückzug aus der
Politik und dem Kaufmannsdasein im Spital von Melaten eingekauft,
um den Kranken zu helfen und den Küsterdienst in der
dortigen Kapelle zu versehen. Er habe der Welt den Rücken
gekehrt und im stetigen Blick auf Gott ein neues Leben
begonnen.
    Was mochte einen reichen Patrizier dazu bringen, täglich
sein Leben im Kampf gegen die Krankheit aufs Spiel zu setzen und
allem Wohlstand zu entsagen?
    Nach einer Stunde stummen Reitens hatten sie die hohe
Bruchsteinmauer erreicht, die das Leprosenhaus, die
Nebengebäude, die Kirche und die Gärten von der
Straße und der Welt abschirmte. Am Tor saßen sie ab.
Wehmütig schaute Andreas dem weiteren Verlauf der
Straße nach. Irgendwo dort hinten, in weiter Ferne, musste
die alte Kaiserstadt Aachen liegen und dahinter Paris, Poitiers,
Santiago de Compostela. Viel lieber wäre er bis ans Ende der
Welt geritten, als diesen Ort des Schreckens und des Todes zu
betreten. Er sah Elisabeth an, die ihm aufmunternd
zulächelte.
    Am Tor meldeten sie sich und fragten nach Ulrich Heynrici. Es
wurde ihnen sofort aufgeschlossen. Im Innenhof durften sie ihre
Reittiere anbinden; dann ging der Pförtner mit ihnen an der
Kirche und dem Wirtshaus vorbei, dessen Eingang an der
Straße nach Aachen lag und das den Reisenden vorbehalten
war. Die Siechen durften es bei der Androhung des Verlustes ihrer
Pfründe nicht betreten. Eine dieser armen Kreaturen kam
trotzdem über den Hof gehumpelt, hielt das, was einmal ihre
Hände gewesen waren, vor und bettelte um Geld. Der
Pförtner scheuchte die zerlumpte Gestalt fort und
bekreuzigte sich. Der Aussätzige taumelte zurück zu den
kleinen Unterkünften, die im rechten Winkel zur Kirche
standen. Andreas schüttelte sich, doch Elisabeth hatte
Bedauern in den Augen. Der Pförtner sah es, zuckte die
Schultern und sagte: »Niemand kann diesen armen
Geschöpfen helfen; es gibt kein Heilmittel gegen den
Aussatz. Man kann sie nur von den Gesunden absondern. Sie
dürfen nichts berühren, was auch Gesunde berühren
könnten. Wenn sie ein Geländer anfassen, müssen
sie Handschuhe tragen. Wenn sie mit einem Gesunden sprechen,
müssen sie aus dem Wind gehen, weil man nicht weiß, ob
der Wind möglicherweise die Krankheit überträgt.
Und natürlich dürfen sie nicht in fließendem
Wasser baden oder sich waschen. Dennoch werden ihrer immer mehr.
Keiner wagt sich nahe an sie heran, auch der Arzt nicht. Ich geb
zu, auch ich hab Angst vor ihnen. Hab schließlich Frau und
Kinder. Nur einer hilft ihnen, unser Küster.«
    Er klopfte an die Tür des kleinen Häuschens hinter
der Kirche, das wie das Wirtshaus an die Mauer gebaut war.
»Unser frommer Herr Ulrich bekommt viel Besuch aus der
Stadt«, sagte der Pförtner und zwinkerte stolz.
»Er ist wirklich ein Heiliger. Hat man so etwas schon
einmal gesehen? Vermacht sein ganzes Geld dem Siechenhaus und
legt selbst noch Hand an. Er ist besser als all die gelehrten
Pfaffen zusammen.« Er warf Andreas einen scheelen Blick zu,
drehte sich um und ging.
    Die Tür wurde geöffnet, und im Rahmen stand eine
Gestalt, bei deren Anblick Andreas nur die Bezeichnung
»alttestamentarisch« einfiel. Der Mann war etwa
siebzig Jahre alt, sehr groß, stämmig, ohne dick zu
sein, und hatte einen schlohweißen Haarkranz, der sein
kahles Haupt wie ein Heiligenschein umgab, sowie einen langen,
ebenso weißen Bart. Seine Augen waren sehr dunkel, entweder
braun oder schwarz. Er sah die junge Frau und den Geistlichen
fragend an und lächelte warmherzig.
    Es war Elisabeth, die den Grund ihres Besuches erklärte.
Nun wurde auch der Blick des beeindruckenden Mannes heller.
»Ich habe von dieser schrecklichen Sache
gehört«, sagte er mit einer volltönenden
Bassstimme. »Kommt doch bitte herein. Entschuldigt, dass es
nicht sehr herrschaftlich ist, doch wie Ihr bestimmt schon
erfahren habt, hänge ich nicht mehr an weltlichen
Gütern.« Er geleitete die beiden in eine enge Stube,
die mit Büchern gefüllt war. Andreas glaubte sich in
die Universität versetzt. Noch nie hatte er so viele
Bücher in einem privaten Haushalt gesehen. Heynrici musste
seinen erstaunten Blick bemerkt haben und erklärte:
»Ein wenig von meinen Schätzen habe ich mitgebracht.
Aber es sind geistige Güter.
    Ich ziehe meinen Frieden und mein Heil aus ihnen – und
aus Gott.« Er bot Elisabeth einen bequemen Stuhl mit zwei
dicken Polsterkissen an und rückte Andreas einen
Dreifuß zurecht. Er

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