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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sein; sie
wollte sein Erwachen nicht erleben. Bei jedem Schritt loderte
zwischen ihren Beinen der Schmerz auf. Sie ertastete mit der Hand
verklebtes Blut. Sie ekelte sich vor Heinrich – und vor
sich selbst. Wieder dachte sie an Andreas. Irgendetwas in ihr
sagte, dass sie bei ihm alles loswerden, ihm alles erzählen
konnte. Was würde er sagen, wenn er von dieser Untat erfuhr?
Ihr kam ein bitterer Gedanke. War es überhaupt eine Untat?
Hatte Heinrich nicht als ihr Gatte das von Gott selbst
gewährte Recht auf den ehelichen Beischlaf? War nicht sie
selbst im Unrecht, weil sie im Verbund mit ihrem Bruder diesen
gotteswidrigen Ehekontrakt aufgesetzt hatte? Doch ihr Gefühl
sagte etwas anderes: Wenn das, was ihr widerfahren war, Recht
war, dann gab es kein wahres Recht und keine Gerechtigkeit
mehr.
    Sie eilte ziellos durch die Guildhall, deren schweres Portal
jedoch noch verschlossen war. Sie fühlte sich eingesperrt.
In den Tiefen dieses Gebäudes lauerte ihr Mann und
vielleicht der oder die Mörder ihres Bruders, und die Stadt
draußen erschien ihr wie ein sprungbereites Tier. Sie
bereute, dass sie hergekommen war. Es war so sinnlos. Was
wäre, wenn sie den Mörder tatsächlich hier fand?
Wie sollte sie ihn zur Verantwortung ziehen? Sie seufzte und
zupfte an ihrer Haube, von der sie den Eindruck hatte, dass sie
zerknittert war.
    Allmählich ließen die Schmerzen nach. Elisabeth
atmete tief durch. Was waren das für Gedanken? Wo war ihre
Entschlossenheit? Sie war ihrem toten Bruder jede Anstrengung
schuldig, um seinen Mörder ausfindig zu machen. Wieder
sehnte sie sich nach Andreas.
    Eine verschlafene Wache rückte an und sperrte das
große Portal mit einem gewaltigen eisernen Schlüssel
auf. Erst als der Mann gähnend das Tor aufzog und ein wenig
Morgenlicht hereinfiel, bemerkte er die stille Frau im Schatten.
Beinahe wäre ihm vor Schreck der Schlüsselbund aus der
Hand gefallen. »Was macht Ihr hier? Wer seid
Ihr?«
    Sie nannte ihm nur ihren Namen und war schon an ihm
vorübergegangen, als er zu einer weiteren Frage ansetzen
wollte.
    Auf der Thames Street war es ruhig. Kaum jemand war in dieser
frühen, leicht nebligen Morgenstunde zu sehen. Elisabeth
eilte wieder auf die Kirche All Hallows zu, in deren Schatten
sich das Kontor von Edwyn Palmer befinden sollte. Sie kam an der
Taverne vorbei, in welcher sie gestern nach ihm gefragt hatte.
Tür und Fenster waren mit Holzläden verhängt.
    Rasch lief sie weiter und schüttelte sich. Sie bog in die
Straße vor der Kirche ein und lief sie entlang. Nirgendwo
gab es an einem Haus das Schild eines Tuch- oder
Weinhändlers. Immer wieder warf sie einen Blick auf das
gedrungene Gotteshaus inmitten des alten Friedhofes, der ihr wie
ein schreckliches Omen erschien.
    Allmählich belebten sich die Straßen, Fuhrwerke
ratterten herbei, Männer mit Handkarren liefen umher,
schwenkten Handglocken und riefen allerlei Unverständliches.
Alte Frauen mit großen Säcken über der Schulter
schlurften an den dunklen, massigen Häusern entlang. Rauch
trieb durch die Straßen, und Nebelfetzen lösten sich
unter der kräftiger werdenden Sonne auf. Das Leben kehrte in
die Stadt zurück.
    Elisabeth hatte die Kirche auf den an sie grenzenden
Straßen schon beinahe umrundet. Vor sich sah sie wieder die
Thames Street. Gerade als sie durch einen Toreingang blickte,
hörte sie aus dessen Tiefe ein schrilles, quietschendes
Geräusch. Sie zuckte zusammen und verkrampfte sich. Was
verbarg sich dort in der Finsternis? Elisabeth blieb stehen und
lauschte. Dann entspannte sie sich wieder und musste über
ihre Schreckhaftigkeit lächeln. Es konnte nur ein
Kontorschild sein, das im aufkommenden Wind schwankte. Sie
spähte in den Tordurchgang.
    Ein großes, düsteres Haus begrenzte den Hof nach
hinten. Hing nicht über seiner Tür das knarrende
Schild? Ein kurzer Blick konnte nicht schaden.
    Elisabeth raffte ihren Rock und schritt auf Zehenspitzen
über dicken, ausgefegten Mist hinweg. Ihre Schritte
klapperten unheimlich in dem tiefen Durchgang. Sie war froh, als
sie in dem Innenhof stand.
    Das Schild nahm sofort ihren Blick gefangen. Es war ein
flaches Schild ein wenig rechts von ihr, auf dem ein Tuchballen
und ein Weinfass abgebildet waren. Darunter stand: »Edwyn
Palmer. Trader in Best Wines & Wooles«. Sie war am
Ziel.
    Die Schmerzen zwischen den Beinen setzten wieder ein, und die
Erinnerung an den vergangenen Abend überwältigte

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