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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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erst? Das… das war kurz vor
Ludwigs Tod.«
    »Es scheint so«, flüsterte Heynrici
schuldbewusst.
    »Dann ist es also noch nicht so lange her, seit Ihr Euch
von der schwarzen Kunst losgesagt habt?«
    »Doch, doch«, beeilte sich der alte Mann zu sagen.
»Dieses Büchlein hatte ich völlig übersehen;
es war hinter die ›Summa Theologica‹ des heiligen
Thomas von Aquin gerutscht. Als ich es wieder fand, weil ich die
Meinung des Aquinaten zur Natur der Engel erforschen wollte, habe
ich es sofort ausgesondert und bei der ersten Gelegenheit an den
Drucker gegeben, weil er schon seit einiger Zeit das ›De
Officiis‹ hatte, das ich mir aber als armer Küster
nicht mehr leisten konnte. Da ich weiß, dass
schwarzmagische Bücher immer gern gekauft werden und hohe
Preise erzielen, habe ich mir erlaubt, dieses böse Werk
sozusagen durch Tausch zu einem guten zu machen.«
    »Damit habt Ihr die Schatten in der Welt weiter
verbreitet.« Als wolle die Natur Andreas Recht geben,
verdüsterte sich plötzlich die Sonne, und ein starker
Wind setzte ein und heulte um das Häuschen. »Ihr habt
Gutes mit Bösem erkauft.«
    »Tut das nicht jeder? Das habe ich damals als Ratsherr
auch getan – wie alle meine Freunde, Ludwig
eingeschlossen.« Er schlug sich gegen die Brust. »Mea
culpa, mea culpa, mea maxima culpa.«
    »Wisst Ihr noch etwas, das Ihr mir bisher verschwiegen
habt?«, fragte Andreas.
    Heynrici lächelte den jungen Geistlichen milde an.
»Ich fürchte, ich weiß vieles, was Ihr nicht
wisst – und was Ihr nicht wissen wollt. Aber über den
Tod Eures Freundes habe ich Euch alles gesagt. Ich bin schon in
Eurer Hand. Warum sollte ich Euch etwas vorenthalten?«
    Andreas nickte und trat langsam einen Schritt zurück.
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll, aber Euch
glaube ich. Ihr habt schon genug unter Eurem Wunsch nach
Erkenntnis gelitten und seid in der Folge zu einem wahren Vorbild
der Christenheit geworden. Ich halte mich an Christi Wort:
Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Wer bin ich
sündiger Mensch, der über Euch zu Gericht sitzen
sollte? Gebt mir das Buch zurück. Ich werde es vernichten,
und niemand wird mehr auf den Gedanken kommen, Euch der
Teufelsbündnerschaft zu verdächtigen.«
    Ulrich Heynrici fiel vor Andreas auf die Knie und küsste
ihm die Hand, wie es ein Priester bei einem Kardinal tut. Als er
zu dem jungen Mann aufschaute, waren seine Augen wieder
tränennass. »Ich stehe ewig in Eurer Schuld«,
schluchzte er. »Ihr habt mit einem alten Sünder
Erbarmen gehabt. Gott wird es Euch vergelten. Und in mir habt Ihr
einen treuen Freund gefunden.«
    »Steht auf, weiser Mann«, sagte Andreas mit leiser
Stimme. Der alte Mann erhob sich und drückte dem Geistlichen
beide Hände mit erstaunlicher Kraft.
    »Kommt zu mir und sagt mir, was Ihr herausgefunden
habt«, meinte Heynrici. »Oder besucht mich einfach
nur, wenn Ihr mit jemandem reden wollt.«
    Andreas lächelte. »Das werde ich tun,
ehrwürdiger Vater.«
    »Dieser Anrede bin ich nicht würdig.« Er
küsste Andreas auf die Wange. Der junge Geistliche nahm das
Buch wieder an sich und verließ das
Küsterhäuschen.
    Der Himmel hatte sich verfinstert. Die Sonne war hinter dicken
Wolken verschwunden. Sturmböen fuhren über Melaten
hinweg. Der Apfelschimmel, der neben der Kirche angebunden war,
wieherte aufgeregt. In der Linde rauschte, knarrte und knarzte es
mächtig. Andreas schaute hoch in das Blattwerk des alten
Baumes.
    Dort schwankte ein Schatten. Ein abgebrochener Ast, der nur
noch an einem Rindenstreifen hing? Andreas kniff die Augen
zusammen. Der Ast hatte Arme und Beine.
    Angefaulte Arme und Beine, Stümpfe.
    Und sein Kopf hing in einer Schlinge, knapp oberhalb der
niedrigsten Zweige.

 
SIEBZEHN
     
     
    Das Bild des Toten verfolgte Andreas bis in den Schlaf. Er war
rechtzeitig vor dem Schließen der Tore wieder in Köln
angekommen und wusste kaum mehr, wie er den Weg von Melaten
hinter sich gebracht hatte. Natürlich hatte er als Priester
schon viele Sterbende und Tote gesehen, doch der Anblick des
erhängten Leprosen hatte ihn über alle Maßen
entsetzt. Auf sein Rufen war sofort Ulrich Heynrici in der
Tür erschienen und hatte den Toten nicht minder erschrocken
betrachtet. Er war auf die Knie gefallen und hatte ein Gebet
für den armen Verschiedenen gesprochen. Danach hatte er
allein den Leichnam abgenommen, nachdem ihm der Pförtner
eine Leiter gebracht

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