Tod im Weinkontor
Andreas bereute seine Reise. Beinahe hätte er
deren unmittelbaren Grund vergessen.
»In diesem schrecklichen Zauberbuch gibt es eine
seltsame Nachbemerkung, die auf Melaten hindeutet«, sagte
er.
Heynrici kniff die Augen zusammen und drehte das Buch in den
Händen. Dann schlug er es hinten auf und las die letzten
Sätze. Ein wehmütiges Lächeln verzerrte seine
rosig durch den weißen Bart schimmernden Lippen.
»Wisst Ihr, ich habe so viele derartige Bücher
gesehen«, sagte er. »Dieses hier gehörte
tatsächlich einmal mir, aber ich habe es bei Ulrich Zell
gegen das ›De Officiis‹ von Cicero getauscht. Soll
ich es Euch einmal zeigen?«
»Das Buch hat Euch gehört? Habt Ihr es hier auf
Melaten gehabt? Die Anmerkung ist von Euch? Aber da steht
doch…«
»Nichts steht da!«, brauste Heynrici auf.
»Ich habe mich über dieses Buch
geärgert.«
»Dort steht, dass Ihr auf Melaten die Beschwörungen
ausgeführt habt, und es ist sicherlich Euer Besitzvermerk,
der auf dem Innenspiegel getilgt wurde.« Andreas hatte den
Eindruck, als schwimme der Boden unter ihm.
»Das ist nicht richtig. Ich habe nichts
ausgeführt«, meinte der alte Mann, der nun wieder
ruhiger geworden war. »Ich gebe zu, dass ich auf meiner
Suche nach Erkenntnis bisweilen seltsame Wege beschritten habe.
Wenn Ihr mich jetzt der Inquisition übergeben wollt, habe
ich es wahrscheinlich verdient. Ich gebe auch zu, dass ich Angst
vor der Inquisition habe. Ich habe Angst vor Schmerzen. Aus
diesem Grund habe ich sehr gezögert, Euch gegenüber
meine Versuche zuzugeben. Aber ich hoffe, Ihr werdet mich nicht
verraten.« Er warf das Buch angewidert zu Boden, stand
erstaunlich rasch auf, trat vor Andreas und ergriff seine Hand.
Seine Stimme klang ängstlich. »Ich will ehrlich zu
Euch sein, denn Ihr habt es verdient. Ich habe mich hierher
zurückgezogen, um meine Sünden zu büßen.
Jeden Tag setze ich mich der Gefahr des Todes aus, nur um den
armen Siechen zu helfen. Ich will büßen, Gott wieder
nahe kommen, aber ich will nicht in die Hände der
Inquisition fallen.« Er kniete vor Andreas nieder.
»Habt Mitleid mit einem verirrten Schaf, das zu seinem
Vater zurückgefunden hat.« Tränen traten in seine
Augen. Er zitterte am ganzen Körper.
Andreas zog seine Hand zurück, der alte Mann ließ
sie los. Der Geistliche stand auf und gebot Heynrici, sich zu
erheben.
»Seht Euch hier um«, sagte er eifrig. »Ihr
werdet kein Buch finden, das der heiligen Mutter Kirche
ungefällig ist. Alles Schlimme, Falsche, Kranke habe ich
ausgemerzt. Ich weiß, wie mein Ruf in der Welt ist, aber
ich habe ihn nicht verdient.
Eigentlich muss der Tod mein Lohn sein, damit Gott mich
richten kann. Aber ich habe so große Angst vor den
Schmerzen, die mir die Inquisition bereiten wird.« Sein
Blick war der eines geschlagenen Hundes.
Andreas wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Da stand
er einem Mann gegenüber, den nicht nur er für heilig
hielt, und dieser Mann hatte ihm soeben indirekt gestanden,
gotteslästerliche Teufelsbeschwörungen
durchgeführt zu haben. Auf was konnte man sich in dieser
Welt noch verlassen? Sprach der Herr nicht durch solche
gottergebenen Menschen wie Ulrich Heynrici? Aber wenn dem so war,
wie konnte Gott es dann zulassen, dass sich gerade die
Geschöpfe, die ihm in Demut ergeben waren, der Hölle
verschrieben? Hieß es nicht, dass man für alle Zeiten
verdammt sei, wenn man ein Bündnis mit dem Teufel errichtet
hatte? Und jede Beschwörung des Erzfeindes war als
Teufelsbündnis zu werten. Das hatte Andreas in Bologna in
einer Strafrechtsvorlesung gehört. Wenn das stimmte, dann
war Heynrici verdammt. Und Andreas war verpflichtet, ihn der
heiligen Inquisition anzuzeigen. Konnte er das wirklich
verantworten? Denn jetzt, auf Melaten, tat er Wunderbares,
übermenschlich Gutes.
Er sah Heynrici an. Zweifel zernagten ihn. Sein Gewissen sagte
ihm, dass Heynrici schon genug büßte und an diesem Ort
wertvoller für die Christenheit war als in den Kerkern der
Inquisition, aber die heilige Mutter Kirche war da anderer
Meinung, und als Priester war Andreas an seine Oberen und ihre
Lehren gebunden.
Heynrici sah den Zwiespalt in Andreas’ Blick. »Ich
habe mich in Eure Macht begeben. Geht behutsam mit ihr
um.«
»Helft Ihr mir?«
»Wie immer Ihr wollt.«
»An wen habt Ihr das Buch gegeben?«
»An Ulrich Zell.«
»Wann?«
»Vor etwas weniger als einem Monat.«
»Vor einem Monat
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