Tod im Weinkontor
ungewohnte,
ausladende Pilgerhaube enger um den schmerzenden Kopf. Anton
stand zwischen ihr und Anne und schaute der vorüberziehenden
Stadt erleichtert nach. Ihm schien der billige Wein nichts
ausgemacht zu haben. Elisabeth aber fühlte sich, als donnere
eine Kuhherde über ihren Kopf hinweg. Außerdem kratzte
der grobe Stoff der Haube.
Auch der lange, graue Glockenmantel war ihr unangenehm, aber
er war die beste Verkleidung für die beiden Frauen und
würde sie überdies von allen Wegezöllen befreien.
Sorgen machte ihr der Umstand, dass sie lediglich eine
Überfahrt nach Dordrecht gefunden hatten; das Schiff fuhr
nicht den Rhein hinunter. In Dordrecht würden sie sich um
eine weitere Reisemöglichkeit kümmern müssen.
Jeder erzwungene Aufenthalt war ungünstig, denn Elisabeth
befürchtete nach dem, was sie im Waterstone Inn gehört
hatte, dass eine große Sache im Gange war, die weit
über ein Eifersuchtsdrama hinausging, auch wenn Anne noch
immer glaubte, ihr Mann habe Ludwig ermordet.
Der Wind hatte aufgefrischt und blies von Westen. Mit hoher
Geschwindigkeit segelte die »Saint Bernard of
Quaritch« die Themse hinunter, hatte bald London hinter
sich gelassen und glitt nun an dunkelgrünen Wiesen und
kleinen Dörfern vorbei. Elisabeth schaute sich immer wieder
an Deck um, doch außer ihr, Anne und Anton waren keine
weiteren Reisenden an Bord. Die Matrosen schielten zwar manchmal
scheel herüber, schienen aber ungefährlich zu sein. Der
Kapitän hatte die seltsame Reisegruppe gern an Bord
genommen, nachdem Anne aus der Kasse ihres Kontors eine
stattliche Summe für die Überfahrt nach Dordrecht
geboten hatte.
»Wann werden wir in Köln sein?«, fragte
Elisabeth Anton Lautensack, dem die Freude über diese Reise
deutlich anzusehen war.
»Das hängt davon ab, wann wir in Dordrecht ein
Schiff nach Köln erwischen, oder ob wir den Landweg nehmen
müssen. Im letzten Fall wird die Reise etliche Wochen
dauern.«
»Wochen?« Elisabeth war entsetzt. »So viel
Zeit haben wir nicht.« Sie hatten Anton inzwischen in alle
Einzelheiten des seltsamen Falles eingeweiht.
»Glaubst du wirklich, dass es nicht mein Mann war, der
Ludwig umgebracht hat?«, fragte Anne und zupfte an der
Jakobsmuschel, die sie sich an ihren schweren grauen Umhang
genäht hatte. Sie hatten sich als Pilgerinnen ausgegeben,
die den Schrein der Heiligen Drei Könige zu Köln
besuchen wollten und den Jakobsweg bereits hinter sich hatten.
Anton hatte die passende Kleidung sowie die beiden Muscheln und
Pilgerstäbe bei einem Händler in der Barren Lane mitten
in Dowgate aufgetrieben, wofür ihm die Frauen sehr dankbar
waren. Auf seine schüchterne, linkische Art genoss er diese
Dankbarkeit sehr. Er hob das runde Kinn und straffte den
Rücken, wann immer er sich an die Frauen wandte. Und er
schien endlich bemerkt zu haben, dass all seine Wämser viel
zu knapp waren, denn jetzt zupfte er andauernd an den
Ärmeln.
»Ich weiß gar nichts mehr, aber die seltsamen
Kaufleute scheinen mir doch sehr verdächtig zu sein«,
meinte Elisabeth. »Ich hoffe, dass wir Köln schnell
erreichen.« Sie hatte Angst, sie könnten zu spät
kommen. Zu spät – wozu?
Ein günstiger Wind führte dazu, dass die Pilgerinnen
und ihr Begleiter schon am Abend des vierten Tages Dordrecht
erreichten. Sie gingen von Bord und suchten sich in einem der
besseren Viertel der Stadt ein Quartier für die Nacht. Die
beiden Frauen mieteten ein gemeinsames Gemach; Anton musste in
der Schankstube schlafen.
Elisabeth zog sich nicht aus, während Anne aus ihrem
Leinensack ein Nachthemd kramte und rasch hineinschlüpfte.
Trotzdem sah Elisabeth die Striemen und Narben auf ihrer zarten
Haut. Sie verspürte einen unbändigen Hass auf Edwyn
Palmer und wünschte sich plötzlich, er habe ihren
Bruder ermordet, damit er dem Henker übergeben werden konnte
– für diese und für alle anderen Missetaten, die
er in seinem schändlichen Leben begangen hatte.
Am anderen Morgen begaben sich die drei zum Hafen und suchten
nach einem Schiff, das den Rhein hinauf nach Köln fuhr. Sie
fanden keines. Sie liefen am Kai auf und ab, befragten Matrosen
und Kapitäne, warteten auf einlaufende Schiffe, sahen zu,
wie die Waren mit großen Kränen entladen wurden, und
verzweifelten allmählich. Stunden später standen alle
drei an der Hafenmauer beisammen und beobachteten, wie ein Holk
aus England einlief. Er hatte Wollballen und Erze
Weitere Kostenlose Bücher