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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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schälten sich drei Umrisse aus dem
tintenschwarzen Dunkel, aber sie wurden dadurch nicht greifbarer.
Irgendetwas an ihnen beängstigte Andreas. Er zischte Odilo
zu, er solle das Licht löschen. Der Familiaris blies die
Kerze in der kleinen Laterne aus, und gemeinsam drückten sie
sich in einen Hauseingang und warteten darauf, dass die Schatten
vorübergingen.
    »Was soll das?«, flüsterte der Familiaris
Andreas ins Ohr. »Warum gehen wir nicht einfach an ihnen
vorbei?«
    Andreas wusste es selbst nicht. Er gab keine Antwort.
    Die drei wurden zu Menschen. Zu erkennbaren Menschen. Der mit
der Laterne war einer der Leuchtmänner, die man sich mieten
konnte, wenn man nachts eine Besorgung in der Stadt zu machen
hatte. Den zweiten Mann kannte er. Es war Johannes Dulcken, der
bankrotte Weinhändler. Seine über das ganze Wams
verteilte Amulettsammlung glitzerte im Kerzenschein. Durch
Dulckens humpelnden Gang klirrten die magischen Symbole bei jedem
Schritt. Der dritte Mann war ein grobschlächtiger Baum von
einem Kerl mit feuerrotem Haar und Armen wie Baumstämmen.
Sie blieben stehen und klopften verstohlen an eine Tür.
Rasch wurde ihnen geöffnet, und sie verschwanden im Innern
des unbeleuchteten Hauses. Andreas atmete auf und wagte es, aus
dem Hauseingang hervorzukommen. Nun erst sah er, welches Haus die
drei betreten hatten.
    Es war das prächtige Giebelhaus der Witwe
Leyendecker.
     
    Die alte Wittib stöhnte und jammerte schrecklich, als
Andreas ihr, unterstützt von dem entsetzten Familiaris, die
letzte Ölung spendete und die Beichte abnahm. Die Alte war
noch bei klarem Verstand, und die Liste ihrer Missetaten war
lang: Sie hatte über ihre Freundinnen gelästert,
Marktfrauen übers Ohr gehauen, beim Spinnen Flachs unter die
Wolle gemischt und viele ähnlich schwere Verbrechen
begangen. Andreas hörte kaum zu. In Gedanken war er bei
seinem Erlebnis in der Glockengasse. Was machte ein zum billigen
Krämer verkommener Weinhändler des Nachts bei einer
jüngst zur Witwe gewordenen Kauffrau? Man könnte sich
so seinen Teil denken, doch wer war der vierschrötige Kerl?
Was wurde im Leyendecker’schen Haus mitten in der Nacht
verabredet? Welche dunklen Machenschaften waren da im Gange?
Hatte es etwas mit Ludwigs Tod zu tun? Anstatt endlich klarer zu
werden, wurde die Angelegenheit immer undurchsichtiger.
    Er beeilte sich zu gehen, denn es war nicht seine Aufgabe, den
Tod der Wittib abzuwarten. Dafür waren die wenigen alten
Freundinnen zuständig, die bereits nebenan süßen
Brei aßen und schwätzten. Auch der Familiaris war
offenbar froh, dem Haus des Todes entrinnen zu können. Es
schien seine erste Erfahrung mit dem wichtigsten Abschnitt des
menschlichen Lebens zu sein. Auf dem Rückweg zu Sankt
Kolumba kamen sie wieder am Leyendecker-Haus vorbei. Im ersten
Stock brannte das ruhige Licht einiger guter Wachskerzen. Was
mochte dort Geheimnisvolles zur Sprache kommen? Andreas schaute
angestrengt nach oben, sah aber niemanden. Natürlich konnte
er nicht einfach an das Portal klopfen und um Einlass bitten; er
hatte keinen Grund für einen Besuch, erst recht nicht zu so
später Stunde. Schweren Herzens ging er an dem Anwesen
vorbei und dachte an Elisabeth. Er vermisste sie so. Sicherlich
hätte sie gewusst, was nun zu tun war. Als Andreas wieder
vor dem Pastorat stand, kam er sich wie ein Versager vor.
Vielleicht hatte die Lösung des schrecklichen Rätsels
ganz nahe vor ihm gelegen. Er nahm sich vor, bei nächster
Gelegenheit Barbara Leyendecker aufzusuchen und sie nach diesem
nächtlichen Besuch zu fragen.
     
    Diese Gelegenheit ließ auf sich warten. Die Beerdigung
der Wittib, die noch in derselben Nacht gestorben war, war eine
traurige Pflicht der nächsten Tage. Hinzu kamen zwei weitere
Beerdigungen auf dem kleinen Kirchhof von Sankt Kolumba sowie
eine Trauung, Predigtvorbereitungen, die täglichen Messen
und sogar eine Vorlesungsvertretung für Pfarrer
Hülshout an der Universität, wovor Andreas große
Angst hatte, denn er hatte noch nie vor so vielen Menschen
theologische Diskurse geführt. Die Vorlesung fand in der
Aula theologica im Kapitelhaus hinter dem Dom statt, und Andreas
brachte sie mit viel Stottern mehr schlecht als recht hinter
sich. So kam er erst sechs Tage später dazu, Barbara
Leyendecker einen Besuch abzustatten.
    Er traf sie im Lagerraum für die Weinfässer an. Sie
machte sich nicht die Mühe, ihn ins Haus zu bitten, sondern

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