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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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klug wie zuvor«, meinte
Elisabeth, während sie in der Wohnstube im ersten Stock
saßen. Pfarrer Hülshout kam herein, blieb in der
geöffneten Tür stehen und sagte scharf: »Andreas,
es ist Zeit für die Vesper. Ich bitte dich, Gott nicht zu
vernachlässigen.« Mit einem Blick auf die beiden
Frauen fügte er hinzu: »Und es täte jeder
christlichen Seele gut, zur heiligen Kommunion zu gehen.«
Er sah Elisabeth eingehend an. In seinem Blick lagen Abscheu und
Angst. Dann verließ er das Zimmer wieder.
    Andreas seufzte, erhob sich und sagte: »Er hat Recht.
Und es wäre gut, wenn ihr beide mitkommt und unserem Herrn
die Ehre erweist, damit Pfarrer Hülshout euch weiterhin
unter seinem Dach duldet.« Die beiden Frauen sahen sich an
und nickten.
     
    Andreas Bergheim zelebrierte die Messe in der Marienkapelle,
die während der Umbauarbeiten notdürftig von der
Baustelle abgetrennt war. Der mächtige Handelsherr Johann
Rinck hatte den Bau dieser Kapelle aus eigener Tasche bezahlt und
gemeinsam mit der Kaufmannsfamilie Dass eine Messstiftung
eingerichtet. So gedachte Andreas auch in dieser Messe der
Stifter und betete für ihr Seelenheil. Doch er war nicht
ganz bei der Sache. Er leierte die lateinischen Gebete herunter,
die in dem hohen Gewölbe einen hohlen Hall erzeugten, und
dachte dabei über den Tod seines Freundes nach. Hinter
seinem Rücken hörte er, wie sich die Gemeinde regte.
Bei der kurzen Predigt, die er unvorbereitet halten musste, da er
keine Zeit zu ihrer Ausarbeitung gehabt hatte, beschränkte
er sich auf die kurze Darstellung einiger Höllenstrafen
für die verschiedenen Sünden, die den Menschen so lieb
waren. Aber anstatt diese Strafen in den glühendsten Farben
auszumalen, führte er sie auf, als seien sie nichts anderes
als Posten in einer kaufmännischen Rechnung. Als er zum
Selbstmord kam, stockte ihm die Stimme. Falls Ludwig
tatsächlich Hand an sich gelegt hatte, war er verdammt;
daran führte kein Weg vorbei. Es war kein guter Stoff
für eine Predigt, doch das Evangelium nach Matthäus vom
Endgericht gebot dieses Thema: »Weichet von mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel bereitet ist und
seinen Engeln.« Andreas sah, wie Elisabeth betreten zu
Boden schaute und Anne ihr schwesterlich den Arm um die Schulter
legte. Elisabeth rückte ein wenig von ihr ab, als
fürchte sie die körperliche Berührung. Schon oft
hatte Andreas diese Verhaltensweise bei ihr bemerkt. Er
verhaspelte sich in der Aufzählung der Höllenstrafen,
setzte erneut an, versprach sich abermals und beendete die
Predigt unvermittelt. Dann trat er vor den Altar, hob die
Hände und sprach die einleitenden Worte des Hochgebetes.
Dabei war ihm, als beobachte ihn jemand.
    Jemand, der sich nicht unter den Gemeindemitgliedern
befand.
    Langsam drehte er sich um. Gemurmel setzte ein. Er blickte in
die erstaunten Gesichter seiner Pfarrkinder, die es nicht gewohnt
waren, dass sich der Priester während der Wandlung zu ihnen
umdrehte. Er war zu langsam gewesen. Er sah nur noch einen
Schatten.
    Einen Schatten…
    Der Umriss erinnerte ihn an Johannes Dulcken, doch im
ungewissen Licht der Marienkapelle war die Gestalt nicht deutlich
auszumachen. Sie verschwand nach draußen. Andreas wäre
ihr am liebsten nachgegangen, doch er traute sich nicht, die
Messe einfach zu unterbrechen. Pfarrer Hülshouts Geduld mit
ihm wäre dann bestimmt am Ende. Er versuchte, Elisabeth und
Anne durch Nicken ein Zeichen zu geben. Dann drehte er sich
wieder um. Er hörte, wie sich hinter ihm jemand bewegte, und
widerstand dem Drang, sich noch einmal umzuschauen.
    Als er nach der Messe durch die Kapelle hinüber in die im
Bau befindliche Kirche und die Sakristei ging, konnte er
Elisabeth und Anne nirgendwo sehen. Offenbar hatten die beiden
Frauen seinen Wink verstanden. Rasch zog er sich um, streifte den
schwarzen Talar über und hastete in das
Pastoratsgebäude.
    »Sind sie schon zurück?«, fragte er Grete,
die ihm öffnete. Sie schüttelte den Kopf und sah ihn
missmutig, ja beinahe feindselig an. Er trat von der Tür
zurück und warf einen Blick nach rechts und links die
Bursgasse hinunter. Allmählich sammelten sich Schatten
zwischen den Giebelhäusern; das Licht vor der Madonna am
Geburhaus wurde stärker, als wolle es die nahende Nacht ganz
allein bekämpfen. Wo waren die beiden Frauen? War es
wirklich Dulcken, den er in der Kirche gesehen hatte? Waren sie
ihm gefolgt?

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