Tod in Blau
ich meine, wir
verstanden uns nicht mehr richtig.«
»Warum? War eine andere
Frau im Spiel? Oder ein anderer Mann?«
Sie wurde ein bisschen rot
und schüttelte den Kopf. »Nein.
Aber Carl fing plötzlich
an, solche eigenartigen Bücher und Zeitungen zu lesen, irgendwelches
unsinnige Zeug über Germanen und Herrenmenschen und so weiter. Er
hielt sich plötzlich für was Besseres. Ich habe das nicht
richtig verstanden.« Sie dachte nach. »Einmal sind wir
spazieren gegangen, da kam uns eine Familie mit einem schwachsinnigen Kind
entgegen. Und Carl hat gesagt… wie war das noch … so was gehört
ausgemerzt und was von schlechtem Blut. Er schien sich richtig zu ekeln.«
»Und darum haben Sie
sich von ihm getrennt?«
»Ja, auch. Er hat nämlich
nur noch dagesessen und gelesen, ist nicht mehr mit mir ausgegangen, hat
mir nicht zugehört, keine Blumen mehr mitgebracht.« Sie wirkte
aufrichtig enttäuscht. »Ich bin ja noch jung. Dafür war
ich mir zu schade.« Sie besaß eine schlichte Würde, die
Leo ziemlich überzeugend erschien.
»Wissen Sie, ob er zu
einer Vereinigung oder Partei gehörte, zu Versammlungen ging? Kannten
Sie seine Freunde? Bislang spricht nichts für einen Selbstmord, daher
richten wir unsere Ermittlungen auf mögliche Feinde.«
Sie hob die Schultern.
»Er hat nie etwas darüber erzählt. Wir kannten uns noch
nicht so lange, ein halbes Jahr. Ach ja, da war so ein Kerl namens Egon,
den hat er in letzter Zeit öfter erwähnt. Sie sind zusammen
trinken gegangen und haben politisch geredet.«
»Wissen Sie seinen
Familiennamen?«, fragte Leo und holte sein Notizbuch hervor.
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, aber er wohnt bei Carl nebenan. Wenn Sie die Nachbarn fragen,
finden Sie ihn sicher.«
Leo bedankte sich. Die junge
Frau blickte besorgt zu der Kassiererin, die unverhohlen herüberstarrte.
»Fräulein Hagen,
falls es Missverständnisse geben sollte, rufen Sie mich an.« Er
legte seine Visitenkarte auf die Theke. »Ich verbürge mich für
Sie.«
Sie steckte die Karte ein und
machte sich daran, in Goldfolie verpackte Schokoladentafeln zu
symmetrischen Stapeln aufzuschichten.
*
Die elegante cremeweiße
Villa in Dahlem war von hohen alten Bäumen umgeben, deren Laub sich
rotgolden gefärbt hatte.
Der würdevolle Diener,
der Leo und Walther an der Tür empfing, war wie aus dem Ei gepellt.
Frack, schwarz-gelb gestreifte Weste, blütenweißes Hemd. Er
meldete sie an, und kurz danach trat Oberstleutnant Ulrich von Mühl
durch eine hohe Flügeltür ins Empfangszimmer. Seine kerzengerade
Haltung verriet den ehemaligen Offizier, sein Gesichtsausdruck, dass ihm
Kriminalbeamte alles andere als willkommen waren. »Ja, bitte?«,
fragte er kühl.
»Ich bin Kommissar
Wechsler, das ist Kriminalsekretär Walther. Wir ermitteln im
Todesfall Carl Bremer.«
»Der Name sagt mir
nichts. Sollte ich den Herrn etwa kennen?« Von Mühl lehnte lässig
im Türrahmen.
Leo ließ sich nicht so
schnell aus der Ruhe bringen. »Wir fanden in seinen Unterlagen ein
Schreiben von Herrn Eduard von Bauditz, in dem er den Verstorbenen an Sie
verweist. Und zwar in Ihrer Eigenschaft als sein Stellvertreter bei der
›Asgard-Gesellschaft‹.«
»Es ist korrekt, dass
ich in seiner Abwesenheit diese Vereinigung leite, aber der Herr, von dem
Sie sprechen, ist mir gänzlich unbekannt«, erwiderte von Mühl
und betrachtete gelangweilt seine rechte Hand, an der er einen goldenen
Siegelring trug.
»Dürfte ich
fragen, um was für eine Gesellschaft es sich handelt?«, fragte
Leo weiter. Er war an den herablassenden Tonfall von Menschen, die sich
aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung überlegen fühlten,
gewöhnt und tat sein Bestes, ihm gelassen zu begegnen.
»Wir beschäftigen
uns mit der Erforschung des germanischen Erbes in heutiger Zeit. Es
handelt sich um streng wissenschaftliche Studien.«
»Wie kommt es dann,
dass sich ein Ladenangestellter wie Herr Bremer für Ihre Vereinigung
interessiert und sogar um Aufnahme ersucht hat?«
Von Mühl zuckte verächtlich
mit den Schultern. »Vielleicht hat er die Volksausgabe des
Nibelungenliedes gelesen. Oder die Nordland-Sagen, so etwas gefällt
einfachen Gemütern.«
»Ich weiß nicht,
wie einfach sein Gemüt war«, warf Walther ein, »aber wir
wissen, dass er mit einer Kopfwunde tot aus dem Landwehrkanal gezogen
wurde. Wir müssen allen Spuren
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