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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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sie vorsichtig.
    Der Junge zog hörbar die
     Nase hoch. »Hier wohnt sonst keiner. Aber er wohnt auch nicht
     richtig da. Nur manchmal.«
    Sie konnte sich ungefähr
     zusammenreimen, wovon er sprach, und nutzte die Gelegenheit. »Wenn
     du mir zeigst, wo das Haus des Malers ist, bekommst du Geld für
     Bonbons.«
    Der Junge biss sich auf die
     Lippen.
    »Gefällt dir das
     etwa nicht?«, fragte Thea, die langsam die Geduld verlor.
    »Doch, ich muss
     eigentlich - ach, komm mit.« Er stapfte vor ihr her über das
     feuchte Laub, das den Boden schon wie ein glänzender rotbrauner
     Teppich bedeckte. Hoch über ihnen wölbten sich die Kronen der
     Buchen, und Thea dachte flüchtig, wie schön es im Sommer hier
     sein musste. Doch jetzt war es nur trübe und neblig.
    Worauf hatte sie sich bloß
     eingelassen? Die Vorstellung, an einem nassen Herbstabend mit einem zurückgebliebenen
     Jungen durch den Wald zu marschieren, um sich von einem Mann malen zu
     lassen, den sie nur einmal gesehen hatte, behagte ihr plötzlich nicht
     mehr. Andererseits hatte sie immer einen Hang zum Wagnis besessen, sonst hätte
     sie sich wohl kaum unbekleidet auf eine Bühne getraut.
    In der rheinischen
     Provinzstadt, in der sie aufgewachsen war, hatte sie zwar Tanzunterricht
     genommen, doch der bereitete sie keineswegs auf die Ansprüche eines
     Großstadtpublikums vor. Nach dem Krieg wollten die Menschen
     Ablenkung um jeden Preis, Sensationen, buntes Vergessen. Selbst die Kunst
     musste rauschhaft sein, das Alltägliche war verpönt. Und es war
     nicht einfach, sich gegen die brillante Konkurrenz zu behaupten - in einer
     Stadt, in der Tänzerinnen wie Anita Berber und Valeska Gert bejubelt
     wurden.
    Aber sie lernte schnell und
     studierte mit ihrem Partner Stephan Castorff ein Programm mit dem Titel
     Revolutionen ein, das sie in einem winzigen angemieteten Theater aufführten.
     Sie verarbeitete darin die Erlebnisse während der Novemberrevolution,
     Eindrücke von Straßenkämpfen und Blutvergießen, von
     gewaltsam vorrückenden Ordnungskräften und aufgebrachten
     Arbeitern, alles noch roh und ungeschliffen, aber von großer
     Ausdruckskraft, wie eine Zeitung bemerkte.
    Danach war alles ziemlich
     schnell gegangen. Sie wurde zu den richtigen Gesellschaften eingeladen,
     bei denen sie mit Stephan tanzte oder auch nur als schöne Staffage
     diente, was sie nicht weiter kümmerte. Sosehr sie den Tanz liebte, so
     empfänglich war sie auch für den Luxus, dem diese Kreise frönten.
     Sie genoss es, in schönen Kleidern mit eleganten Männern zu
     tanzen, Champagner zu trinken und sich in noblen Automobilen nach Hause
     bringen zu lassen. Stephan schmollte zuweilen, weil er fürchtete, sie
     als Partnerin zu verlieren. Doch die Entgegnung, sie werde wohl eher ihn
     an einen dieser Herren verlieren als umgekehrt, ließ ihn
     unweigerlich verstummen.
    Thea war so in Gedanken
     versunken, dass sie dem Jungen, der abrupt stehen geblieben war, auf die
     Ferse trat. Er zeigte auf ein schlichtes, weiß verputztes Häuschen,
     das durch die großen Fenster und das Oberlicht im Dach auffiel. Es
     stand auf einer kleinen Lichtung. Einen richtigen Weg schien es nicht zu
     geben.
    »Danke.« Sie gab
     dem Jungen das versprochene Geld.
    Er winkte noch einmal kurz
     und verschwand zwischen den Bäumen.
    Als sie sich umdrehte, sah
     sie Arnold Wegner in der Tür seines Ateliers stehen. Attraktiv war er
     nicht gerade. Die seltsame Frisur - eine Art Topfschnitt -, der zu breite
     Mund, die gedrungene Gestalt. Und doch wirkte er anziehend, wie er in
     seinem Kittel dastand, die Arme verschränkt, in sich ruhend, und ihr
     gelassen entgegensah.
    »Guten Tag, Fräulein
     Pabst. Wie ich sehe, haben Sie mich mühelos gefunden.«
    Sie ging auf ihn zu und gab
     ihm die Hand. »So würde ich es nicht ausdrücken. Ich hatte
     Hilfe.« Auf seinen erstaunten Blick fügte sie hinzu: »Ein
     Junge hat mich hergeführt. Er schien Sie zu kennen.«
    »Ach ja, der Paul. Er
     kommt öfter her.«
    »Er ist ein bisschen
     langsam, oder?«
    Wegner machte eine einladende
     Geste ins Atelier. »Ja, aber ich mag ihn. Er ist aufrichtig. Was man
     von den meisten Leuten nicht behaupten kann.«
    Thea hängte ihren Mantel
     über eine Stuhllehne und schaute sich um. Dann trat sie
     vor die Staffelei. »Das geht mir ähnlich. Die Leute reden viel
     Unsinn, wenn sie sich als Kenner geben. Aber kann man wirklich erwarten,
     verstanden zu werden? Ich höre meistens weg, wenn andere

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