Tod in Blau
kann.«
»Und welche Methode
schlägt er vor? Vielleicht kann ich ja noch etwas von ihm lernen.«
»Nun, es war recht
kompliziert«, plauderte Schneider unbekümmert drauflos, »und
ziemlich wissenschaftlich. Aber es hatte mit einer neuartigen Operation zu
tun, bei der man im Gehirn des Verbrechers die Stelle, die ihn zum
Verbrechen treibt, praktisch ausschaltet.«
»Gut und schön,
aber wie soll man verhindern, dass jemand überhaupt erst ein
Verbrechen begeht? Das sieht man den Leuten vorher doch nicht an«,
wandte Leo ein.
»Oh doch. Man kann an
der Kopfform und den Gesichtszügen erkennen, ob jemand irgendwann gefährlich
wird.«
»Diese Theorien sind
Schnee von gestern«, erklärte Leo unwirsch, worauf Ilse ihm
unter dem Tisch einen Tritt versetzte. »Verzeihung, aber es sind
wirklich Methoden aus dem letzten Jahrhundert. Und jemanden gegen seinen
Willen zu operieren dürfte mehr als schwierig sein. Außerdem
ist es verboten.«
»Schade«, sagte
Bruno Schneider und trank einen Schluck Kaffee. »Aber so ist das mit
den Büchern, man weiß nie, ob man alles glauben kann, was darin
steht. Ich für meinen Teil habe schon immer gern Kriminalgeschichten
gelesen. Aber ein Fachmann wie Sie lacht sicher nur darüber, oder?«
Leo schob seinen Teller
beiseite. »Nicht unbedingt. Zur Entspannung lese ich dann und wann
auch Kriminalromane. Sherlock Holmes bereitet mir Vergnügen, auch
wenn er sich ständig über die brave Polizei mokiert. Aber seine
Methoden sind faszinierend.«
»Ja, das finde ich auch«,
pflichtete Schneider ihm bei und blickte von Bruder zu Schwester. »Ich
möchte mich noch einmal für diese Einladung bedanken. Und nicht
nur wegen des hervorragenden Kuchens«, sagte er.
»Es wird sicher nicht
das letzte Mal sein, wenn ich meine Schwester so ansehe«, meinte
Leo. Ilse errötete und begann schnell, den Tisch abzuräumen.
Am nächsten Morgen war
Leo früh im Büro und sah gemeinsam mit Robert Walther die
Korrespondenz Carl Bremers durch. Auffallend war, dass er von seinen
eigenen Briefen Durchschriften aufbewahrt hatte, was von einer gewissen
Pedanterie zeugte. Es fanden sich ein paar kurze, belanglose Schreiben an
seine Eltern, die in einem kleinen Ort bei Cottbus lebten, sowie deren
besorgte und wohlmeinende Antworten. Anscheinend war ihr Sohn in die große
Stadt gezogen, um sein Glück zu machen, die klassische Geschichte. Er
hatte dort zwar kein Vermögen verdient, aber immerhin eine Anstellung
in dem Konfektionsgeschäft gefunden, wo er wohlhabenden Kunden
Kleidung verkaufte, die er sich selbst nicht leisten konnte. Nicht gerade
befriedigend, doch er konnte froh sein, in dieser Zeit überhaupt eine
Arbeit gefunden zu haben. Er hatte sich offenbar an diversen
Preisausschreiben beteiligt und vor einigen Wochen schriftlich um eine
Gehaltserhöhung ersucht, was abschlägig beschieden und mit der
schlechten Wirtschaftslage erklärt worden war. Davon hatte der werte
Herr Hancke allerdings nichts erwähnt.
»Hier, Leo, sieh mal.«
Robert förderte eine abgerissene Eintrittskarte zutage. »Filmtheater
Marmorhaus, Kurfürstendamm 236. Sagte Hancke nicht, die Freundin sei
Platzanweiserin? Warum sonst sollte Bremer die Karte aufbewahren?«
Noch aufschlussreicher waren
die Briefe, die Bremer an die Autoren seiner bevorzugten Lektüre
gerichtet hatte - Leute wie ebenjener Franz Kesselmann, der forderte, die
germanische Mythologie müsse das tägliche Leben durchdringen und
formen.
Leo deutete auf ein
Antwortschreiben. »Dem sollten wir vielleicht nachgehen.« Es
stammte von einem gewissen Eduard von Bauditz, laut Briefkopf Gründer
und Vorsitzender einer wissenschaftlichen Vereinigung mit Namen »Asgard-Gesellschaft«,
und kam aus Leipzig.
Sehr geehrter Herr Bremer!
Verbindlichen Dank für
das von Ihnen geäußerte Interesse an unserer wissenschaftlichen
Gesellschaft. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass unser Mitgliederkreis
eingeschränkt ist und nur Personen offensteht, die eine einschlägige
wissenschaftliche oder journalistische Tätigkeit nachweisen können.
Auch gebe ich zu bedenken, dass wir unsere Arbeit ausschließlich aus
den Spenden unserer Mitglieder und Förderer finanzieren und daher
strenge Richtlinien bei der Aufnahme zugrunde legen müssen.
Doch verweise ich Sie gern
an Herrn Ulrich von Mühl, der mich während meiner Vortragstätigkeit
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