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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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haben wir wohl«,
     antwortete Leo, stand auf und ging in die Küche. Er öffnete das
     Fenster einen Spalt breit, zündete sich eine Zigarette an und blies
     den Rauch in die eisige Abendluft. Von unten hörte er leise Schritte,
     etwas zog seinen Blick unwillkürlich hinunter. Vor dem Haus stand
     eine Frau. Von oben sah er im Schein der Straßenlaterne nur einen
     dunklen Mantel, eine samtene Baskenmütze und lockige Haare, die
     darunter hervorlugten. Er räusperte sich, leise, wie er dachte, doch
     in der klaren Luft klang es lauter als beabsichtigt.
    Sie schaute hoch. »Ich
     muss mit dir reden.«
    Leo wusste später nicht
     mehr, wie er in so kurzer Zeit die Zigarette ausdrücken, Ilse einen
     Gruß zurufen, Mantel, Hut und Schal anziehen und die Treppe
     hinunterstürzen konnte, es musste nahezu Weltrekord gewesen sein.
    »Ich hab dir so viel zu
     sagen. Sollen wir ein Stück laufen? Dann ist es nicht so kalt«,
     schlug Clara zögernd vor, während der Atem dicht um ihr Gesicht
     wölkte.
    »Gleich.« Leo zog
     sie wie ein Schuljunge an der Hand in die Durchfahrt, lehnte sie gegen die
     Mauer, umschloss ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie
     behutsam auf die Lippen.
    Das Herbstlaub knirschte
     unter ihren Füßen, an der Pumpe hing ein dicker Eiszapfen. Die
     Straßen waren still, denn bei diesem Wetter wagte sich nur vor die Tür,
     wer dringend zu tun hatte. Und jene, die die Kälte nicht spürten,
     weil sie mit ihren Gedanken ganz woanders waren.
    Clara erzählte ihm von
     dem eleganten jungen Offizier, den sie 1912 geheiratet hatte, weil sie von
     ihm beeindruckt und außerdem begierig darauf war, das Elternhaus zu
     verlassen und in die Großstadt ziehen zu können. Von der ersten
     Ernüchterung, dem Gefühl, nur in schöne Kleider gehüllt
     und herumgezeigt zu werden wie eine Puppe. Von ihrem Mann, der jeden Abend
     ins Offizierskasino ging und sich betrunken in ihr Bett drängte, bis
     sie ein eigenes Schlafzimmer bezog und das Schloss auswechselte. Der sich
     gedemütigt fühlte, weil sie kein Kind von ihm wollte. Der auf
     Heimaturlaub kam und doch nur danach fieberte, an die Front zurückzukehren.
    Leo stellte keine Fragen und
     ließ sie einfach reden, weil er spürte, dass sie sich die
     Geschichte vor allem selbst erzählen musste.
    Wie sie kurz nach dem Krieg
     die Scheidung beantragt hatte und schuldig geschieden wurde, weil ihr tief
     gekränkter Mann einen Kameraden zu der Aussage überredet hatte,
     sie habe ihm Avancen gemacht. Leo hörte auch dann noch gelassen zu,
     als Clara sagte: »Ich glaube, ich hätte tatsächlich mit
     ihm geschlafen, wenn er mich gewollt hätte.« Dass sie keinen
     Unterhalt bekam und mit dem, was sie von ihren Eltern geerbt hatte und mit
     der Leihbücherei verdiente, auskommen musste. Und stolz auf ihre
     Unabhängigkeit war.   
    Plötzlich standen sie
     wieder vor dem Haus. Clara schaute ihn von der Seite an und hob die Hand,
     als wollte sie sich verabschieden, doch Leo ergriff sanft ihren Arm und
     zog sie zur Haustür.
    Sie folgte ihm zögernd
     die Treppe hinauf, drehte sich noch einmal halb um, als
     wollte sie kehrtmachen, doch Leo ging unbeirrt weiter.
    Oben schloss er die Wohnungstür
     auf, ohne ihre Hand loszulassen. Obwohl sie sparsam heizten, wirkte die
     Wohnung warm und einladend. Ilse saß noch im Wohnzimmer, strickte an
     einem bunten Schal für Marie und fragte, ohne aufzublicken: »Wo
     bist du denn nur hingelaufen bei der Kälte?«     
    Leo schob Clara sanft ins
     Wohnzimmer und sagte: »Ilse, ich möchte dir jemanden
     vorstellen.«      
      

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