Tod in Blau
Katalog. »Das gefällt mir. Wenn ich demnächst noch einmal
herkommen und mir die Bilder in Ruhe ansehen dürfte -«
Elisa Reichwein schaute ihn
mit gespielter Verwunderung an. »Ach, ich dachte, dies sei ein
privater Besuch, Herr Wechsler. Oder sollte ich Herr Kommissar sagen?«
»Nicht nötig. Aber
ich bin tatsächlich dienstlich hier. Es geht um den Fall Arnold
Wegner.«
Sie bot ihm einen Platz an.
Der eckig wirkende schwarze Stuhl mit dem Sitz aus Korbgeflecht und der Rückenlehne,
die wie ein Gitter mit quadratischen Öffnungen aussah, schreckte Leo
ein wenig ab.
»Setzen Sie sich ruhig,
er ist bequemer, als er aussieht.« Elisa Reichwein schaute ihn amüsiert
an. »Charles Rennie Mackintosh. Schwer zu bekommen. Fünf Jahre
alt und schon ein Klassiker«, sagte sie zufrieden.
»Sie haben recht, ich
sitze ganz gut.«
Nachdem sie ebenfalls Platz
genommen hatte, öffnete sich die Tür, und ihr Assistent Cesar
Melotti trug ein Tablett mit Mokkakanne, Tässchen, Zuckerdose und
winzigen Silberlöffeln herein. Elisa Reichwein schenkte Leo ein.
»Verraten Sie mir
jetzt, wie ich Ihnen helfen kann?«
»Sie haben von dem Fall
Wegner gehört?«
»Natürlich. Die
Presse war voll davon. Aber es klang ganz nach einem Unfall.«
Nicht mehr lange, dachte er.
Die Presse würde sich begierig auf die Nachricht stürzen, dass
Wegner ermordet worden war.
»Das war es aber nicht.«
Elisa Reichwein hatte sich in der Vergangenheit als diskret erwiesen, und
er beschloss, ihr auch diesmal zu vertrauen. »Wir vermuten ein Tötungsdelikt
und gehen davon aus, dass der Täter den Brandunfall nur vorgetäuscht
hat.«
»Sind dabei auch Bilder
verbrannt?«, fragte sie.
Leo fand diese Sorge um die
Kunstwerke nicht unsympathisch; die Frau versuchte gar nicht erst, falsche
Betroffenheit zu heucheln. Er löffelte sich Zucker in den Mokka.
»Wie es aussieht, nur eins. Wegner lag unmittelbar neben der
Staffelei, er wurde vermutlich bei der Arbeit überrascht. Das Bild,
das sich darauf befand, wurde vernichtet, das hat die Spurensicherung
ergeben.«
Sie schaute ihn nachdenklich
an. »Wollen Sie wissen, wie ich ihn als Maler einschätze? Oder
ob ich ihn privat kannte? Ob ich Klatsch und Tratsch gehört habe? Ob
er Feinde hatte?«
»Alles«, sagte
Leo lächelnd und griff nach seiner Tasse. Seltsam, wie wohl er sich
in der Gegenwart dieser Frau fühlte, die ihn sexuell nicht reizte,
aber eine angenehme Altstimme besaß, die ihn warm umhüllte.
»Das ist eine Menge.
Ich hoffe, Sie bringen genügend Zeit mit.«
»So viel Zeit, wie nötig
ist, Frau Reichwein.«
Sie lehnte sich auf ihrem
Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. »Ich habe
ihn kurz vor dem Krieg kennen gelernt. Er galt als begabter Maler, der
noch keinen eigenen Stil gefunden hatte. Er orientierte sich an den
Impressionisten, malte häufig Blumenbilder,
Naturstudien, aber sie besaßen noch keinen Charakter. Man konnte
einen Wegner eben noch nicht als Wegner erkennen.«
Sie streckte die Hand nach
ihrer Zigarettendose aus, die Leo rasch ergriff und aufklappte. »Danke.
Aufmerksame Männer sind heute selten.«
»Legen Sie Wert darauf?«
»Mitunter schon.«
Sie inhalierte und blies den Rauch von Leo weg in die Luft. »Vielleicht
wäre nie ein bedeutender Künstler aus ihm geworden. Vermutlich hätte
er vor sich hin gemalt, das eine oder andere Bild verkauft und von Porträts
gelebt.«
Leo hob die Hand. »Verzeihung,
wenn ich Sie unterbreche. War er damals schon verheiratet?«
Elisa Reichwein überlegte.
»Ich glaube ja. Aber seine Frau erschien eigentlich nie an seiner
Seite, so dass ich mich auch irren kann.«
Er nickte auffordernd.
»Dann kam der Krieg.
Und er veränderte, wie für so viele Männer, einfach alles.
Wegner gehörte zu den Idealisten, die sich schon im Sommer 14 an die
Front meldeten. Als er zurückkam - wann genau das war, kann ich nicht
sagen -, begann er wie ein Wilder zu malen. In einem ganz neuen Stil. Er
malte, was er in Berlin auf den Straßen sah - Barrikadenkämpfe,
Menschenaufläufe, Redner auf ihren Tribünen. Aber auch den
hemmungslosen Genuss, in den sich viele in den Nachkriegsjahren stürzten.
Den Wirbel aus Musik, Alkohol und Rauschgift, in dem nicht wenige
untergingen. Die Bettler, die verkrüppelten Kriegsheimkehrer, hohläugige
Witwen mit einer Kinderschar am Schürzenzipfel. Diese Bilder finde
ich
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