Tod in Blau
gelernt haben. Danach trafen wir uns immer nur im Atelier.«
Walther erhob sich. »Nun,
Fräulein Pabst, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, melden Sie
sich bitte im Präsidium.« Er gab ihr seine Karte. Sah sich
unschlüssig um, als wollte er nur ungern diese unordentliche, aber
behagliche Wohnung verlassen. »Darf ich fragen, ob Sie allein hier
wohnen?«
Sie zündete sich eine
neue Zigarette an. »Sind Sie etwa um meine Sicherheit besorgt?«
»Eigentlich nicht. Es
interessierte mich nur.«
»Ich wohne mit meinem
Tanzpartner zusammen. Er ist…«
In diesem Moment ging die Tür
auf, und Stephan Castorff trat herein, den Mantel mit dem Pelzkragen lässig
über die Schulter geworfen. Er schaute fragend von Thea zu Walther.
»Enchanté«, sagte er geziert. »Herrenbesuch zu
dieser frühen Stunde?«
Walther stellte sich vor und
erklärte den Grund seines Kommens. »Darf ich fragen, ob Ihnen
Herr Wegner ebenfalls bekannt war?«
Castorff setzte sich aufs
Sofa und zündete sich eine Zigarette an. Dann fuhr er sich mit der
Hand durchs Haar, das er auffallend lang trug. »Nein. Ich kannte ihn
nur von Bildern, er war nicht mein Typ. Zu derb für meinen Geschmack.«
Walther verabschiedete sich
und verließ ziemlich rasch die Wohnung. Ein eigenartiges
Arrangement, aber er war ja auch nur ein bürgerlich denkender
Polizeibeamter. Im Gehen hörte er noch, wie Castorff sagte: »Ich
habe dafür gesorgt, dass noch heute jemand von der BZ kommt. Das gibt
eine tolle Geschichte.«
Auf der Treppe hörte er,
wie jemand seinen Namen rief, dann leichte Schritte auf den Holzstufen. Er
drehte sich um. Thea Pabst beugte sich übers Geländer und sah zu
ihm hinunter. »Gerade ist mir noch etwas eingefallen. Es gab da
einen zurückgebliebenen Jungen, Paul heißt er wohl, der kam
öfter mal ins Atelier. Arnold hatte ihn aus unerfindlichen Gründen
ins Herz geschlossen. Vielleicht sollten Sie mal mit ihm reden.«
»Wissen Sie, wie er mit
Familiennamen heißt oder wo er wohnt?«
»Leider nicht. Aber ich
könnte mir vorstellen, dass er nicht weit entfernt wohnt. Er trieb
sich häufiger in der Gegend herum. «
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»Das wird ja allmählich
zur Gewohnheit, Herr Wechsler. Ich sollte ein Beratungshonorar verlangen.«
Elisa Reichwein reichte ihm lächelnd die Hand. »Oder sind Sie
wieder einmal als Kunde hier?« Während sie sich gewöhnlich
in fließende Gewänder hüllte, trug sie an diesem Tag ein
eng anliegendes Kostüm in tiefem Burgunderrot. Dafür waren ihre
Haare nicht streng frisiert, sondern fielen in einer schwarzen Kaskade
über den Rücken. Am rechten Arm bemerkte Leo einen auffälligen
Armschmuck aus schwarzen Kugeln und einer goldenen Kugel, die vermutlich
als Schließe diente.
Er legte seinen Hut auf ein
Schränkchen. »Bedaure, aber Sie kennen ja meine finanziellen Möglichkeiten.
Ich bin Polizeibeamter, kein Finanzmagnat.« Er betrat den
Ausstellungsraum. Zweimal war er schon hier gewesen, und die immense Größe
und das wunderbare Licht, das durch die hohen Fenster hereinfiel,
begeisterten ihn auch jetzt wieder. Er schaute sich um. »Eine neue
Ausstellung.«
»Ja. Ich habe mich
momentan von den gegenständlichen Malern abgewandt. Russischer
Suprematismus und Konstruktivismus, mein neuestes Lieblingskind.«
Sie deutete in die Runde. »Rodtschenko, Tatlin, Lissitzky,
Malewitsch. Schauen Sie sich alles in Ruhe an.«
Die Bilder und Plakate - es
waren viele Plakate dabei - zeigten bunte geometrische Figuren, die sich
zu sachlichen und zugleich faszinierenden Gebilden formten.
»Die Russen haben vor
etwa zwei Jahren damit begonnen. Ich sehe darin einen Spiegel der Umwälzungen,
der Revolution, eine Abkehr vom Althergebrachten«, erklärte die
Galeristin.
»Meinen Sie, das kommt
auch nach Deutschland?«, fragte Leo interessiert.
»El Lissitzky hält
sich zeitweise in Deutschland auf, dann auch wieder in der Schweiz. Es
wird sich durchmischen. Aus Holland hörte ich von einer verwandten
Richtung, die sich De Stijl nennt.« Sie schlug einen Katalog auf und
zeigte ihm ein Werk, das aus rechtwinkligen schwarzen Linien bestand, die
farbige Vierecke umrahmten. »Sie erkennen die Verwandtschaft zu den
Russen. Der Künstler heißt übrigens Piet Mondrian. Leider
konnte ich bisher keinen Kontakt zu ihm herstellen, aber ich bin sehr an
ihm interessiert.«
Leo blätterte in dem
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