Tod in Blau
selbst schien es
zu spüren und wirkte ziemlich unkonzentriert. Schade, es war eine
sehr schöne Ausstellung, die ich gut besprochen habe.«
»Hat Wegner mit Ihnen
über sein Privatleben gesprochen?«
Salomon stellte seine
Kaffeetasse ab. »Nein, unsere Freundschaft bewegte sich ausschließlich
im künstlerischen Rahmen. Dennoch, sein Tod ist ein großer
Verlust für die Kunst. Ich hatte gehofft, er würde zu seinem
eigentlichen Stil zurückfinden, zu den eindringlichen Porträts
der frühen Nachkriegszeit, die ich so geschätzt habe.«
Leo blätterte in seinem
Notizbuch. »Wissen Sie, ob er Feinde hatte? Künstlerkollegen,
Auftraggeber, ehemalige Geliebte?«
Salomon zog überrascht
die Augenbrauen hoch. »Geht es etwa um Mord? Das würde mich
wundern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Arbeit…«
Er schien zu überlegen. »Nein, wenn überhaupt, können
eigentlich nur private Beweggründe dahinterstehen. Wenn berufliche
Auseinandersetzungen in Morden endeten, würde ich Ihnen heute nicht
gegenübersitzen. Dann hätte mich längst ein dilettantischer
Schriftsteller oder Maler, dessen Karriere ich zu Recht im Keim erstickt
habe, aus dem Weg geräumt.«
Leo musste lächeln,
obwohl in den Worten eine gewisse Arroganz mitschwang. Der Mann war sich
seines Einflusses ganz schön sicher. Als Leo sich verabschiedete,
musste er Salomon innerlich zustimmen. Wer sollte einen Maler um seiner
Kunst willen töten?
*
Leo hatte mit seiner
Prophezeiung richtiggelegen, dachte Walther, als er auf dem Diwan mit dem
fadenscheinigen Brokatbezug Platz nahm, die Frau war bezaubernd. Er ließ
es sich nicht anmerken, fühlte sich aber bisweilen etwas unbehaglich,
wenn er mit Menschen aus anderen gesellschaftlichen Kreisen zu tun hatte.
Eigentlich hätte Leo herkommen sollen, der mehr von Kunst und Künstlern
verstand als er, hatte er noch gedacht, als er die ausgetretenen Stufen
mit dem verschossenen Läufer hinaufstieg, doch nun bereute er diesen
Dienstbesuch nicht mehr.
Bevor er sich setzte, hatte
er sich die gerahmten sepiabraunen Fotos angeschaut, die im Flur hingen.
»Interessieren Sie sich für Tanz?«, hatte Thea Pabst
gefragt, worauf Walther ein wenig verlegen den Kopf schüttelte.
»Ich meine, ich
verstehe nichts davon. Interessant finde ich es schon.«
Sie lachte. »Die
angeblichen Experten reden oft nur dummes Zeug. Entweder es gefällt
einem oder man lehnt es ab. Das hier ist aus unserem neuen Programm.«
Sie deutete auf ein Foto, auf dem sie mit einem männlichen
Partner zu sehen war, der vor ihr kniete und den Kopf weit zurückgeworfen
hatte. Der Körper des Mannes glänzte, als wäre er eingeölt.
Etwas verlegen stellte Walther fest, dass Theas Kostüm tatsächlich
aus nichts als Geldscheinen bestand.
»Es heißt
›Inflation‹. Wir fanden, es passt gut in die heutige Zeit.«
Walther räusperte sich.
»Das klingt faszinierend.« Ganz behaglich war ihm jedoch
nicht, und er lenkte geschickt vom Thema ab. »Ist das nicht Anita
Berber?« Er war vor einem Bild stehen geblieben, das eine Frau mit
dunkel geschminkten Augen in einem Sessel zeigte. Ihr schimmerndes Kleid
umhüllte ihren Körper wie eine zweite Haut und wirkte erotischer
als bloße Nacktheit.
»Ja, sie hat es sogar für
mich signiert. Ich bewundere sie, auch wenn wir in mancher Hinsicht
Konkurrentinnen sind.«
Danach hatte sie ihn ins
Wohnzimmer geführt und ihm einen Grog angeboten, den er angesichts
des scheußlichen Wetters nur ungern abgelehnt hatte, aber Dienst war
Dienst. Den Tee hingegen hatte er dankend angenommen und knabberte nun an
einem Keks, den Thea Pabst ihm auf einem angeschlagenen
Porzellantellerchen mit Blumenmuster serviert hatte. Ihre Stimme war
klangvoll und tief und bildete einen reizvollen Kontrast zu ihrer zarten
Gestalt. Als Walther daran dachte, dass sie ihre Auftritte fast
unbekleidet absolvierte, errötete er ein wenig und betrachtete
angestrengt die Wände, die mit Theaterplakaten dekoriert waren.
Es gab Frauen, die konnten in
Lumpen gehen und trotzdem wunderschön aussehen. Thea trug ein altes
Balletttrikot und darüber ein offenes Männerhemd ohne Kragen, an
den Füßen dicke Stricksocken. Dennoch schien sie über dem
Boden zu schweben, wenn sie sich durchs Zimmer bewegte.
»Nehmen Sie doch noch
einen Keks, Herr Kriminalsekretär.« Sogar seinen Titel hatte
sie behalten.
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