Tod in Blau
eigentlich am bedeutendsten. Die Gesellschaftsporträts, die
danach kamen, sind mir manchmal zu bemüht. Als hätte er es auf
Skandale abgesehen.«
Leo schaute hoch, als sie
verstummte. »Reden Sie ruhig weiter, das ist sehr
anschaulich. Ich beginne, mir ein Bild von Wegner zu machen. Sind Sie ihm
häufiger begegnet?«
»Ja, bei Festen und
Ausstellungen. Ich hatte 1920 einige Werke von ihm in einer Schau. Sie
wurden alle verkauft. Trotz seiner derben, wenn nicht gar brutalen
Darstellungsweise hatte er Erfolg. Als ob die Leute spürten, dass
seine Bilder, die roh und unmittelbar waren, das Hier und Jetzt zeigen
wollten. Das hat mir auch gefallen.«
»Und was wissen Sie
über sein Privatleben?«, fragte Leo, während er sich
Notizen machte.
»Nun ja, wirklich
Skandalöses kann ich nicht berichten. Von ehelicher Treue hielt er
nicht viel, ging aber meist diskret vor, um seine Frau nicht allzu sehr zu
kompromittieren. Man wusste halt von seinen Liebschaften.«
»Was sagt Ihnen der
Name Thea Pabst?«
»Die also auch?«,
fragte sie ironisch. »Er hatte Geschmack.« Etwas in ihrem Ton
ließ Leo aufhorchen.
»Wir wissen es von
seiner Frau und werden die Dame auch noch dazu befragen. Aber es ist immer
sehr erhellend, was andere sich darüber erzählen.«
»Davon weiß ich
leider nichts. Ich bin Thea Pabst ein paarmal auf Festen begegnet, eine außergewöhnliche
Tänzerin und begehrenswerte Frau. Leider ganz und gar heterosexuell.«
Das war es also. Warum nicht,
es stand jeder Frau frei, so zu leben, wie es ihr gefiel, auch wenn Leo
ehrlich zugeben musste, dass er diese Toleranz bei seiner eigenen
Schwester schwerlich aufgebracht hätte.
»Wissen Sie, ob er
Feinde hatte? Wie steht es mit beruflichen Konkurrenten, wütenden
Auftraggebern, ehemaligen Geliebten?«
Sie zog in aller Ruhe an
ihrer Zigarette und klopfte die Asche ab, bevor sie antwortete. »Persönliche
Geschichten, Fehlanzeige. Von Auseinandersetzungen mit Künstlerkollegen habe ich nichts gehört. Natürlich
mag es manchen Auftraggebern nicht gefallen haben, wie sie porträtiert
wurden, aber das dürfte kein Grund für einen Mord sein.«
»Sie enttäuschen
mich, Frau Reichwein«, meinte Leo herausfordernd.
Sie zog in gespielter Empörung
die Augenbrauen hoch. »Das tut mir aber leid. Ich möchte einen
charmanten Mann wie Sie ungern enttäuschen. Aber Sie wollen als
Polizeibeamter sicher nicht, dass ich mir etwas ausdenke, oder?« Sie
schien zu überlegen. »Mit Salomon, dem Kritiker, könnten
Sie sprechen, der hat Wegner gut gekannt. Ist in den letzten Jahren
ziemlich hart mit ihm ins Gericht gegangen.«
»Ich war bereits bei
ihm, aber er konnte mir leider auch nicht weiterhelfen.«
»Ach, eine Sache fällt
mir noch ein, aber sie war gewiss belanglos. Auf einer Abendgesellschaft
ließ einmal jemand eine Schmährede gegen Wegners Bilder los,
sprach von undeutscher Kunst, der entwürdigenden Darstellung
deutscher Soldaten und so weiter.«
Leo horchte auf. »Wer
war das, bitte?«
»Ein Offizier, Frontkämpfer,
aus bestem Hause, Sie kennen diesen Typ.«
Und ob, dachte Leo, ich
begegne ihm jeden Tag im Präsidium.
»Wissen Sie den Namen?«
»Ich kann mir besser
Gesichter merken, das liegt wohl daran, dass ich ein visueller Mensch bin.
Augenblick.« Sie ging zur Tür und rief Melotti, der umgehend
ins Zimmer trat.
»Cesar, Sie erinnern
sich doch an dieses Fest bei Konsul Haberland. Irgendein Gast ließ
eine Rede gegen moderne Kunst vom Stapel und empörte sich ausdrücklich
über Arnold Wegners Bilder. Wissen Sie zufällig, wie der Mann
hieß?«
Melotti nickte beflissen.
»Selbstverständlich. Er fiel mir unangenehm auf, ich habe mich
vorsichtshalber nach ihm erkundigt, falls er einmal Ihre Galerie
heimsuchen sollte. Sein Name ist Oberstleutnant Ulrich von Mühl.«
Leos blickte ruckartig hoch.
»Sagten Sie von Mühl?«
»Jawohl.«
»Kennen Sie ihn?«,
fragte Elisa interessiert.
»Wir sind uns schon
begegnet«, meinte Leo knapp. »Danke, Herr Melotti, Ihre
Gewissenhaftigkeit ist unschätzbar. «
Der Assistent deutete eine
Verbeugung an und ging hinaus.
»Ich weiß nicht,
wie ich die Galerie ohne Cesars Hilfe führen sollte, er ist ein
lebendes Adressbuch.«
Leo stand auf. »Ich
danke Ihnen, Frau Reichwein. Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte -«
»- melde ich mich.
Vielleicht sogar persönlich, dann kann ich
Weitere Kostenlose Bücher