Tod in Bordeaux
verspannten Rücken zu lockern, und gähnte. Als er sich streckte, spürte er die Wunde auf der Brust. Caroline hatte sie desinfiziert und verbunden, aber sie schmerzte immer noch. Er schaute sich um. Die Erntehelfer bewegten sich geschickt durch die Rebzeilen, Jean-Claude schnitt in der Reihe neben ihm die letzten Trauben. Sie hatten den Wein nicht wie üblich Reihe für Reihe gelesen, sondern nur die Trauben geschnitten, die wirklich reif waren, und den Vorgang täglich wiederholt. Es erforderte genaue Kenntnis des Reifegrades und mehr Zeit, doch mit dieser Methode hatte Gaston die besten Ergebnisse erzielt. Die Erntehelfer hatten bereits im letzten Jahr mitgearbeitet und machten ihre Sache bestens. Gestern hatten sie sich beeilen müssen und bis in den späten Abend gearbeitet. Hätten sie einen Tag länger gewartet, wäre der Zuckergehalt weiter angestiegen und der Säureanteil zurückgegangen, was die Harmonie des Weins zerstört hätte.
Vom Traubengut her würde es ein selten guter und vielseitiger Wein werden, sehr warm, der zu erwartende Alkoholgehalt gerade richtig, mit einem grandiosen Körper und einer schönen Säure. Gaston hätte seine Freude daran gehabt. Die erste Phase war so gut wie abgeschlossen, sie waren schneller vorangekommen als erwartet, und das Wetter hatte es gut mit ihnen gemeint. «Wenn alle Trauben im Gärtank sind, reise ich ab», hatte Jean-Claude angekündigt. Der Zeitplan stimmte, und auch Martin konnte für einige Tage nach Hause fahren und sich um den Laden kümmern, was dringend nötig war.
Eigentlich hätte er zufrieden sein müssen, aber seit dem Besuch bei LaCroix war er nervös. Heute Nacht hatte er wirres Zeug geträumt, von einem dicken Mann im schwarzen Anzug, der ihm beim Joggen Paletten vor die Füße warf und ihn beschimpfte. Er war gerannt und gerannt und mit dem Gefühl aufgewacht, kein Auge zugetan zu haben. Wahrscheinlich war die Angst, Fehler beim Ausbau des Weins zu machen, der Grund für seine Träume. Seit er die Verantwortung übernommen hatte, quälte er sich mit Selbstvorwürfen. Wenn er letztes Jahr nicht zu bequem gewesen wäre, sich alles aufzuschreiben, hätte er jetzt keine Sorgen. Er konnte so viel falsch machen, die Temperatur, der exakte Zeitraum der Gärung, die Einstellung der Maschine zum Entrappen. Ein kleiner Fehler konnte verheerende Auswirkungen haben. Und dann musste er sich mit der Arbeitsweise der neuen Pumpe vertraut machen ...
Martin quälte sein Gehirn, um sich alles in Erinnerung zu rufen. Es half wenig - da Gastons Aufzeichnungen fehlten, musste er sich von jetzt an auf sein Glück verlassen, auf seine Erinnerung, seine Intuition und die Nase. Beruhigend allein war der Gedanke, dass jeder neue Jahrgang sein Eigenleben hatte.
Aber ihm fehlte die praktische Erfahrung. Jean-Claude war Theoretiker, und mit Caroline konnte er kaum rechnen. Ein einziger Fehler - und alles wäre verdorben, die Arbeit des gesamten Jahres. Es ging um Carolines Existenz, und er selbst wäre bis auf die Knochen blamiert. Ein halber Tag zu lange im Gärtank, ein unkontrollierter Temperaturanstieg, wenn auch nur für kurze Zeit ... er wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.
Gastons Wein-Tagebücher mit allen wichtigen Informationen sowie der PC seien weiterhin unauffindbar, hatte der Polizist mitgeteilt, der mit weiteren Formularen zum Unterschreiben vorbeigekommen war. Wie erwartet gab es keine Spur von den Einbrechern, auch die Befragung der Erntehelfer hatte nichts Neues ergeben. Wer konnte mit diesen Informationen etwas anfangen? Nur jemand aus der Branche, das war klar. Aber wer?
Nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte, war Martin sich sicher, dass Gastons Tod kein Unfall war. Es gab zu viele Ungereimtheiten: Gastons Verhalten, den Diebstahl des Haut-Bourton, die unterschiedliche Qualität. Jemand hatte seinen Freund ermordet. Die Kreidestriche auf dem Boden der Lagerhalle standen Martin wie eine Drohung vor Augen. Hätte er nur zwei Minuten mehr gehabt, hätte er klären können, ob Haut-Bourton in den Kisten war oder tatsächlich der Moulin de la Vaux wie auf dem Zollpapier angegeben. Hatte Gaston die Plastikumhüllung aufgerissen? Wenn ihm nur nicht dieser Grivot dazwischengepfuscht hätte! Sollte er ihn darauf hinweisen und ihn nachsehen lassen?
Martin glaubte, die Stimme dieses undurchsichtigen Mannes irgendwann schon einmal gehört zu haben. Noch heute würde er im Polizeipräsidium anrufen und sich nach ihm erkundigen. Dann wüsste er
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