Tod in Bordeaux
senkrecht auf die Fingerspitzen. «Das sind die Paletten. So, und jetzt passen Sie auf, was geschieht!» Er bewegte die Hand vorwärts und hielt sie ruckartig an. Die Streichholzschachtel kippte nach vorne auf den Boden. «Und genau da drunter stand Gaston.»
«Das ersetzt uns den Lokaltermin», meinte Charlotte bissig. Martin überging die Bemerkung, aber ihre Kaltschnäuzigkeit verunsicherte ihn doch. Madame Lisette gab Öl in eine gusseiserne Pfanne, legte die Kaninchenteile neben dem Herd zurecht und blickte in die Runde. «Das leuchtet mir ein. Jetzt müssten wir nur noch wissen, wer den Algerier dafür bezahlt hat.»
«Garenne», sagte Martin. «Garenne war es, nach allem, was ich weiß.»
«Wissen nicht - vermuten! Und wie wollen Sie dem auf die Schliche kommen?»
«Irgendwas fällt mir ein. Er muss das Zeug verkaufen, und irgendwo macht er bestimmt einen Fehler. Alles im Leben hinterlässt Spuren.»
«Sie fahren ungern zurück, nicht wahr?» Madame Lisette schien ernstlich besorgt. «Ich habe Sie noch nie so bedrückt gesehen. Lassen Sie sich nicht entmutigen. Jerome und ich sind immer in Carolines Nähe. Und wenn was mit dem Wein ist, rufen wir an. So, ihr jungen Leute geht besser ein bisschen spazieren. Jerome, du kannst mir helfen.»
Die Sonne war untergegangen, aus den Niederungen kroch feiner Dunst die flachen Hänge hinauf. Martin blickte über das bunte Weinlaub und dachte an sein Büro. Mit dem verblichenen Foto von Gastons Garage an der Wand würde er den kommenden Winter überstehen müssen. Aber er würde wegen des Weins oft herkommen. Der Gedanke daran tröstete ihn.
Aus den Augenwinkeln betrachtete er Charlotte, die der untergegangenen Sonne nachblickte. Sie sah zufriedener aus, nicht mehr ganz so angespannt und ernst. Er mochte ihr feines Gesicht, ihre aufmerksamen, freundlichen Augen, den kritischen Zug um die Lippen und ihre provokante Art, obwohl sie ihn damit verwirrte. Als er den Wunsch verspürte, ihr die Hand auf die Schulter zu legen, sah sie ihn forschend an, als ob sie seine Gedanken erraten hätte. Er spürte, dass es noch zu früh war. Wenn er ans Geschäft dachte, an seine viel zu große Wohnung, fühlte er sich schon jetzt einsam. Bisher hatte es Gaston und Caroline gegeben, und Petra. «Wir haben einen langen Winter vor uns», seufzte er.
«Das stimmt, aber in Paris ist er nicht so lang, zumindest kommt es einem so vor. Sie können mich ja mal besuchen. Irgendwo ist immer was los: Partys, Empfänge, Konzerte. Mögen Sie afrokubanische Musik? Ich bin selten zu Hause, man muss sich zeigen, aber eigentlich habe ich oft...», Charlotte verharrte einen Augenblick, bevor sie weitersprach, «... man muss in meinem Beruf entsetzlich vorsichtig sein. Ich muss auf alles und jedes achten, mir jedes Wort überlegen, niemandem kann man trauen, weder den Kollegen noch den Chefs, denen schon gar nicht, die wechseln die Seiten wie die Hemden. Können Sie sich das vorstellen? Im Vergleich dazu haben Sie ein sehr viel angenehmeres Leben: Sie haben Ihre Kunden, den Wein, alles hat seine Regeln ...»
«Mehr oder weniger», pflichtete Martin ihr bei. «Genauso war es, bis vor zwei Wochen. Kennen Sie Deutschland eigentlich?»
«Ein wenig. Ich habe in Bonn gearbeitet, zwei Jahre lang, direkt nach dem Studium, bevor Ihre Regierung nach Berlin umzog. Es waren einsame Jahre ...»
«Sie mögen das Land nicht besonders?»
Charlotte verzog gequält den Mund. «Das kann man so nicht sagen. Ja und nein. Ihrem Land fehlt so vieles: Begeisterung, Poesie, Feingefühl, Charme. Ich weiß nicht, ob es die Nazis zerstört haben oder woran es liegt. - Ach, vielleicht unterhalten wir uns besser ein andermal darüber. Ich mache mir Sorgen ...»
«Worüber?»
Charlotte blickte Martin in die Augen. «Mir wird immer klarer, dass Sie wirklich in Gefahr schweben. Weshalb sind Sie so ungerührt - oder tun Sie nur so?»
«Ich weiß es nicht. Was ist schon vom eigenen Willen abhängig? Ich frage mich, ob man überhaupt eine Wahl hat. Gaston war mein Freund. Wenn er ermordet wurde, kann ich das nicht hinnehmen, auch wenn das heißt, dass ich selbst in Gefahr gerate.»
Charlotte blickte ihn ruhig an. «Und wie werden Sie nun weiter vorgehen? Wie wollen Sie Garenne auf die Schliche kommen?»
«Am liebsten würde ich ihn vergessen und jetzt essen», sagte Martin. Und als er Charlotte ansah und daran dachte, was er noch lieber täte, schaute er weg, als wäre er ertappt worden.
«Es ist noch nicht so weit», sagte
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