Tod in Bordeaux
Charlotte doppeldeutig. «Gehen wir ein Stück?»
«Soll ich Sie nun ... Madame nennen oder Charlotte?»
Beim Essen erzählte Martin, dass kommende Woche die Eichenfässer für den neuen Jahrgang des Pechant geliefert würden, und bat Monsieur Jerome, Caroline bei der Abnahme zu helfen. «Viel kann mit dem Wein inzwischen nicht passieren. Nur lassen Sie die Temperatur keinesfalls über 27 Grad ansteigen. Das regelt der Thermostat. Sollte der ausfallen, so gibt es im Flaschenlager Kühlelemente, die kann man in die Tanks einhängen. Und zur Not finden Sie wasserdichte Eisbeutel in der Tiefkühltruhe, falls der Strom ausfällt. Caroline weiß Bescheid. Außerdem muss man den Tresterhut täglich aufbrechen. Vielleicht probieren Sie auch mal und sagen mir, wie weit der Wein ist. Wenn nötig, komme ich her.»
«Viel zu weit», sagte Monsieur Jerome. Er war die Ruhe selbst. «Und zu teuer. Wir kümmern uns darum. Das war mal unser Weinberg, ein wenig anders, aber immerhin.»
«Willst du nicht Carolines Weinberg übernehmen?», fragte Charlotte Martin unvermittelt.
Martin fühlte sich, als wäre er bei einem seiner geheimsten Wünsche ertappt worden, obwohl er ihn niemals so klar gedacht hatte. Er blickte aus dem Fenster. Den Weinberg kaufen? Wie kam sie darauf? Vielleicht weil er sich mit einer Selbstverständlichkeit in dieser Welt bewegte, als hätte er nie etwas anderes getan.
Der Gedanke hatte viel für sich. Die Arbeit im Weinberg und im Keller gefiel ihm, machte ihm trotz aller Unsicherheit viel Freude. Sollte er dafür sein Geschäft in Frankfurt aufgeben? Es ernährte ihn gut, weit mehr als das, die kleinen Geschäfte nebenbei waren äußerst lukrativ. Wenn er sein Mietshaus in Frankfurt verkaufen würde und den Laden, käme einiges zusammen. Aber vielleicht wollte Caroline gar nicht verkaufen? Der Vorschlag musste auf jeden Fall von ihr kommen. Er könnte ihre Verbindlichkeiten bei der Bank übernehmen und ihr das zurückzahlen, was sie bislang überwiesen hatten - und natürlich den Wertzuwachs. Wie könnte man den messen? Einen Anteil an den jährlichen Ernten, eine Art Rente? Wie würde ihr Leben und das der Kinder weitergehen? Wäre das nicht so, als würde er ihr die Vergangenheit abkaufen?
«Einige Entscheidungen musst du schon selbst treffen», sagte Charlotte. «Du musst wissen, wo du hin willst.»
«Weißt du das denn?», fragte Charlottes Mutter unvermittelt ihre Tochter.
Martin nutzte den Moment zum Aufstehen, bedankte sich für das wunderbare Essen und für Gastons Notizen, die auf dem Tisch gelegen hatten, als er vom Spaziergang zurückgekommen war. Zuletzt bat er Charlotte, sich in den Pariser Supermärkten nach dem Moulin de la Vaux umzusehen. «Es ist ein Bordeaux Supérieur, Côtes du Cas-tillon. Ich würde ihn gern mit dem vergleichen, den ich aus dem Château mitgenommen habe.»
«Wenn ich die Zeit dazu finde, gern. Pass auf dich auf, Martin!»
Ein wenig verlegen küsste er sie auf die Wangen und suchte ihren Blick. Er würde lange davon zehren müssen. Andererseits, wenn er bei der nächsten Tour hierher über Paris fahren würde? Es wäre nur ein winziger Umweg ...
Die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, schlenderte Martin durch die kühle Nacht. In der Ferne sah er die Lichter von Saint-Émilion, Scheinwerfer bewegten sich über Hügel, verschwanden dahinter, bis sie im nächsten Tal wieder aufleuchteten. Er betrachtete Carolines Haus von weitem und empfand es zum ersten Mal als fremd. Selbst in der Garage fühlte er sich nur gelitten.
Nur wenige Lichter brannten, die Haustür war wie üblich angelehnt. Martin trat ein. Aus dem Wohnzimmer fiel Licht in den Flur.
«... ist das so schwer zu verstehen?»
Martin erkannte die Stimme von Carolines Mutter sofort, eindringlich, kalt und böse.
«Du weißt nicht, was du dir damit antust. Unabhängigkeit ist das Wichtigste überhaupt. Du musst ihn aus allem heraushalten. Lass ihn arbeiten.»
«Ich finde es unanständig, ihn auszunutzen», entgegnete Caroline kleinlaut.
«Nein, überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Du weißt nicht, was er plant. Was hat er vor? Wieso kommt er sofort her und nimmt dir die Arbeit aus der Hand? Auch Jean-Claude hatte nichts mehr zu sagen. Er hat das Kommando, er gibt die Anweisungen. Jean-Claude hat sich bei mir darüber beschwert.»
«Bei mir nicht! Du verdrehst die Dinge. Mir hat er das Gegenteil gesagt. Martin versteht eben am meisten davon. Gaston hat alles mit ihm besprochen.»
Martin blieb
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