Tod in Breslau
der
Kommissar.
»Wir treffen uns am Schlesischen Bahnhof um acht
Uhr abends, Gleis drei. Dann bekommst du noch einige
Instruktionen. Hier sind fünfzig Mark, schau, dass du
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dich in Ordnung bringst, Mann! Du kannst sie mir zu-
rückgeben, wenn du in Breslau Fuß gefasst hast.«
Berlin, 5. Juli 1934.
Acht Uhr abends
Anwaldt war pünktlich zur Stelle, sauber, rasiert und –
was das Wichtigste war – nüchtern. Er trug einen neuen
beigefarbenen Sommeranzug und eine dazu passende
Krawatte. In der Hand hielt er eine ziemlich lädierte Ta-
sche und einen Regenschirm. Sein Hut saß ein wenig
schief, sodass er einem dieser amerikanischen Schauspie-
ler ähnelte, dessen Name von Grappersdorff entfallen
war.
»Na also. Das macht sich schon besser.« Der Kommis-
sar trat an Anwaldt heran und schnüffelte. »Los, hauchen
Sie mich an!«
Anwaldt tat, wie ihm befohlen.
»Kein einziges Bier?«
»Kein einziges.«
Der Kommissar fasste Anwaldt unter und sie schlen-
derten auf dem Perron auf und ab. Eine Lokomotive ließ
zischend Dampfwolken ab.
»letzt hören Sie mir gut zu. Ich weiß nicht genau, was
Sie in Breslau zu tun haben werden, aber es ist eine sehr
schwierige und nicht ungefährliche Aufgabe. Aber Ihr
Gehalt dort wird Ihnen ermöglichen, nicht bis an ihr Le-
bensende schuften zu müssen. Dann können Sie sich in
Ruhe zu Tode saufen, aber während Ihres Aufenthaltes in
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Breslau: keinen Tropfen … kapiert?« Von Grappersdorff
lachte laut auf. »Ich muss Ihnen sagen, dass ich Mühl-
haus, meinem alten Freund aus Breslau, von Ihnen abge-
raten habe. Aber er hat drauf bestanden, ich weiß nicht,
warum. Vielleicht hat er irgendwo gehört, dass Sie etwas
taugen … Wie dem auch sei, jetzt zur Sache: Sie haben
ein Abteil für sich. Ich wünsche Ihnen eine angenehme
Reise. Hier ist das Abschiedsgeschenk von den Kollegen.
Es wirkt hervorragend gegen jeden Katzenjammer.«
Er schnipste mit den Fingern. Eine hübsche Brünette
mit einem kecken Hütchen kam auf sie zu. Sie überreich-
te Anwaldt ein Kärtchen, auf dem stand: »Ich bin ein Ge-
schenk deiner Kollegen. Bleib gesund, und lass dich mal
wieder in Berlin blicken!«
Anwaldt blickte umher und entdeckte hinter dem
Bahnsteigskiosk die Gesichter seiner Kollegen, die lach-
ten, Grimassen schnitten und dabei unanständige Gesten
machten. Er geriet in tiefe Verlegenheit. Das Mädchen
jedoch nicht im Geringsten.
Breslau, Freitag, 6. Juli 1934.
Halb sechs Uhr nachmittags
Kriminaldirektor Eberhard Mock traf letzte Vorbereitun-
gen für seine Reise nach Soppot, wo er vorhatte, einen
zweiwöchigen Urlaub zu verbringen. Der Zug sollte in
zwei Stunden abfahren, so war es nicht verwunderlich,
dass in seiner Wohnung ein fürchterliches Durcheinan-
der herrschte. Mocks Frau jedoch fühlte sich darin wie
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ein Fisch im Wasser. Klein und korpulent wie sie war,
wirbelte sie durch die Räume und erteilte dem Personal
mit lauter Stimme Anweisungen. Mock saß derweil ge-
langweilt in einem Sessel und hörte Radio. Während er
eine andere Station suchte, läutete das Telefon.
»Bei Baron von der Malten«, tönte es aus dem Hörer.
»Herr Direktor, der Herr Baron erwartet Sie unverzüglich
in seiner Residenz.«
Mock hörte auf, mit der freien Hand am Senderknopf
zu drehen, und versetzte mit ruhiger Stimme:
»Hör jetzt gut zu, mein lieber Herr Diener, wenn der
Herr Baron mich sehen will, dann möge sich der Herr
Baron gnädigst selbst bemühen, bei mir zu erscheinen,
denn ich befinde mich in zwei Stunden auf dem Weg in
den Urlaub.«
»Ich habe mir gedacht, dass du so reagierst, Eberhard«,
erklang die tiefe Stimme des Barons aus dem Hörer. »Ich
habe es vorhergesehen, aber um Diskussionen zu vermei-
den, halte ich hier in meiner Hand eine Visitenkarte mit
einer Telefonnummer. Es hat mich einige Mühe gekostet,
sie zu bekommen. Wenn du dich also nicht auf dem
schnellsten Wege zur mir begibst, werde ich diese Num-
mer wählen. Willst du wissen, wen ich dann anrufen
werde?«
Mock hatte plötzlich das Interesse an der Marschmusik
verloren. Er knipste den Apparat aus und knurrte: »Ich
bin gleich bei dir.«
Eine Viertelstunde später bog er in die Eichenallee ein.
Grußlos stürmte er an dem alten Kammerdiener Matthi-
as vorbei, der aufmerksam in der Tür stand, und fuhr ihn
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an: »Ich finde das Arbeitszimmer des Barons schon
selbst.«
Der Baron erwartete ihn in der offenen Tür. Er trug
einen langen
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