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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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au-
    ßerdem freundlicherweise bereit erklärt, Assistent An-
    waldt ab morgen in das ihm unterstellte Präsidium als
    Referent für Spezialfälle zu übernehmen. Entspricht das
    den Tatsachen, Herr Direktor?« Mock war selber über
    seinen Gehorsam überrascht, der ihn mit dem Kopf nik-
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    ken ließ. »Assistent Anwaldt, der Zugang zu allen rele-
    vanten Akten und Informationen bekommt, wird die ge-
    heime Fahndung nach dem Mörder meiner Tochter in
    aller Sorgfalt wieder aufnehmen. Habe ich etwas verges-
    sen, Herr Kriminaldirektor?«
    »Nein, Herr Baron, Sie haben nichts vergessen«, bestä-
    tigte Mock zerstreut, während seine Gedanken fieberhaft
    damit beschäftigt waren, wie er nun seine Frau besänfti-
    gen könnte. Denn sie würde sicherlich sehr aufgebracht
    sein, wenn sie erfuhr, dass sie die ersten Urlaubstage al-
    lein verbringen musste.

    Breslau, 7. Juli 1934.
    Acht Uhr morgens

    Die Hitze in Breslau hielt an. Über der Senke, in der die
    Stadt lag, wogten glühende Luftschichten. An den Stra-
    ßenecken mussten sich die Limonadeverkäufer unter den
    Sonnenschirmen ihrer Stände nicht die Mühe machen,
    ihre Ware anzupreisen. Alle hatten Helfer angestellt, die
    in einem fort Eimer mit Eis schleppten. Die verschwitzten
    Menschen saßen in den Kaffeehäusern und Konditoreien
    an der repräsentativen Gartenstraße und fächelten sich
    unablässig Kühle zu. Auf der Liebichshöhe, wo das
    Großbürgertum unter den ausladenden Platanen und Ka-
    stanienbäumen vom trockenen Staub der Innenstadt Er-
    holung suchte, spielten am Sonntag erschöpfte Musikan-
    ten ihre Märsche und Walzer, in den Grünanlagen und
    Parks saßen die Alten beim Skat zusammen, und ent-
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    nervte Kindermädchen versuchten, ihre erhitzten Zöglin-
    ge im Zaum zu halten. Die Gymnasiasten, die nicht in die
    Sommerfrische gefahren waren, hatten längst Sinuskur-
    ven und »Hermann und Dorothea« vergessen und veran-
    stalteten am städtischen Flusswerder ihre Schwimm-
    wettbewerbe. Das Proletariat aus den ärmlichen Gassen
    rund um den Ring und den Blücherplatz leistete sich
    Humpen von Bier, sodass viele schon am frühen Morgen
    betrunken in den Haustoren und Rinnsteinen lagen. Und
    die Jugend blies zur Jagd auf die Ratten, von denen es in
    der Umgebung der Müllbehälter jetzt nur so wimmelte.
    Träge flatterten in den Fenstern angefeuchtete Leintü-
    cher. Breslau atmete schwer. Nur die Eisverkäufer und
    Limonadehändler rieben sich die Hände, und die Braue-
    reien legten Sonderschichten ein. Herbert Anwaldt be-
    gann mit seinen Ermittlungen.

    Die Polizisten saßen ohne Jackett und mit gelockerten
    Krawatten im Besprechungszimmer. Nur Max Forstner,
    Mocks Nachfolger, machte eine Ausnahme. Auch wenn
    er in seinem zu engen Anzug und seiner korrekt gebun-
    denen Krawatte wahre Bäche schwitzte – er wollte sich
    nicht auch nur die kleinste Nachlässigkeit erlauben. Aber
    niemand der Anwesenden verspürte Mitleid oder gar
    Bewunderung, und der Grund für diese allgemeine Anti-
    pathie war Forstners Herablassung und Boshaftigkeit, die
    er seinen Untergebenen in kleinen, aber wirksamen Do-
    sen zuteil werden ließ. Mal machte er sich über die aus
    der Mode gekommene Form eines Hutes lustig, mal ließ
    er eine giftige Bemerkung über ein schlecht rasiertes Ge-
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    sicht oder einen Fleck auf der Krawatte eines Beamten
    fallen, eine anderes Mal regte er sich über eine beliebige Kleinigkeit auf, die angeblich, so sagte er, dem Bild der
    Breslauer Polizei in der Öffentlichkeit schade. Doch an
    diesem Morgen hatte ihm die Hitze alle Kleinlichkeit ge-
    genüber der nachlässigen Kleidung seiner Untergebenen
    genommen.
    Die Tür ging auf, und Mock erschien in Begleitung eines
    schlanken, dunkelhaarigen, etwa dreißigjährigen Mannes.
    Der neue Polizist erweckte den Eindruck, als sei er nicht
    ausgeschlafen. Er unterdrückte ein Gähnen, was ihm
    nicht allzu gut gelang, und Tränen traten ihm in die Au-
    gen. Forstner hätte sich gerne über den unpassend hellen
    Anzug ereifert.
    Wie immer begann Mock die Besprechung, indem er
    sich eine Zigarette anzündete – eine Angewohnheit, die
    fast die ganze Belegschaft übernommen hatte.
    »Ich begrüße Sie. Dies ist unser neuer Kollege, Krimi-
    nalassistent Herbert Anwaldt, der ab heute in unserer
    Abteilung als Referent für Spezialfälle arbeitet. Er wird in einer Sache ermitteln, deren Verlauf und Resultat er allein mir gegenüber zu verantworten hat. Ich möchte Ih-
    nen nahe legen,

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