Tod in Breslau
au-
ßerdem freundlicherweise bereit erklärt, Assistent An-
waldt ab morgen in das ihm unterstellte Präsidium als
Referent für Spezialfälle zu übernehmen. Entspricht das
den Tatsachen, Herr Direktor?« Mock war selber über
seinen Gehorsam überrascht, der ihn mit dem Kopf nik-
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ken ließ. »Assistent Anwaldt, der Zugang zu allen rele-
vanten Akten und Informationen bekommt, wird die ge-
heime Fahndung nach dem Mörder meiner Tochter in
aller Sorgfalt wieder aufnehmen. Habe ich etwas verges-
sen, Herr Kriminaldirektor?«
»Nein, Herr Baron, Sie haben nichts vergessen«, bestä-
tigte Mock zerstreut, während seine Gedanken fieberhaft
damit beschäftigt waren, wie er nun seine Frau besänfti-
gen könnte. Denn sie würde sicherlich sehr aufgebracht
sein, wenn sie erfuhr, dass sie die ersten Urlaubstage al-
lein verbringen musste.
Breslau, 7. Juli 1934.
Acht Uhr morgens
Die Hitze in Breslau hielt an. Über der Senke, in der die
Stadt lag, wogten glühende Luftschichten. An den Stra-
ßenecken mussten sich die Limonadeverkäufer unter den
Sonnenschirmen ihrer Stände nicht die Mühe machen,
ihre Ware anzupreisen. Alle hatten Helfer angestellt, die
in einem fort Eimer mit Eis schleppten. Die verschwitzten
Menschen saßen in den Kaffeehäusern und Konditoreien
an der repräsentativen Gartenstraße und fächelten sich
unablässig Kühle zu. Auf der Liebichshöhe, wo das
Großbürgertum unter den ausladenden Platanen und Ka-
stanienbäumen vom trockenen Staub der Innenstadt Er-
holung suchte, spielten am Sonntag erschöpfte Musikan-
ten ihre Märsche und Walzer, in den Grünanlagen und
Parks saßen die Alten beim Skat zusammen, und ent-
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nervte Kindermädchen versuchten, ihre erhitzten Zöglin-
ge im Zaum zu halten. Die Gymnasiasten, die nicht in die
Sommerfrische gefahren waren, hatten längst Sinuskur-
ven und »Hermann und Dorothea« vergessen und veran-
stalteten am städtischen Flusswerder ihre Schwimm-
wettbewerbe. Das Proletariat aus den ärmlichen Gassen
rund um den Ring und den Blücherplatz leistete sich
Humpen von Bier, sodass viele schon am frühen Morgen
betrunken in den Haustoren und Rinnsteinen lagen. Und
die Jugend blies zur Jagd auf die Ratten, von denen es in
der Umgebung der Müllbehälter jetzt nur so wimmelte.
Träge flatterten in den Fenstern angefeuchtete Leintü-
cher. Breslau atmete schwer. Nur die Eisverkäufer und
Limonadehändler rieben sich die Hände, und die Braue-
reien legten Sonderschichten ein. Herbert Anwaldt be-
gann mit seinen Ermittlungen.
Die Polizisten saßen ohne Jackett und mit gelockerten
Krawatten im Besprechungszimmer. Nur Max Forstner,
Mocks Nachfolger, machte eine Ausnahme. Auch wenn
er in seinem zu engen Anzug und seiner korrekt gebun-
denen Krawatte wahre Bäche schwitzte – er wollte sich
nicht auch nur die kleinste Nachlässigkeit erlauben. Aber
niemand der Anwesenden verspürte Mitleid oder gar
Bewunderung, und der Grund für diese allgemeine Anti-
pathie war Forstners Herablassung und Boshaftigkeit, die
er seinen Untergebenen in kleinen, aber wirksamen Do-
sen zuteil werden ließ. Mal machte er sich über die aus
der Mode gekommene Form eines Hutes lustig, mal ließ
er eine giftige Bemerkung über ein schlecht rasiertes Ge-
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sicht oder einen Fleck auf der Krawatte eines Beamten
fallen, eine anderes Mal regte er sich über eine beliebige Kleinigkeit auf, die angeblich, so sagte er, dem Bild der
Breslauer Polizei in der Öffentlichkeit schade. Doch an
diesem Morgen hatte ihm die Hitze alle Kleinlichkeit ge-
genüber der nachlässigen Kleidung seiner Untergebenen
genommen.
Die Tür ging auf, und Mock erschien in Begleitung eines
schlanken, dunkelhaarigen, etwa dreißigjährigen Mannes.
Der neue Polizist erweckte den Eindruck, als sei er nicht
ausgeschlafen. Er unterdrückte ein Gähnen, was ihm
nicht allzu gut gelang, und Tränen traten ihm in die Au-
gen. Forstner hätte sich gerne über den unpassend hellen
Anzug ereifert.
Wie immer begann Mock die Besprechung, indem er
sich eine Zigarette anzündete – eine Angewohnheit, die
fast die ganze Belegschaft übernommen hatte.
»Ich begrüße Sie. Dies ist unser neuer Kollege, Krimi-
nalassistent Herbert Anwaldt, der ab heute in unserer
Abteilung als Referent für Spezialfälle arbeitet. Er wird in einer Sache ermitteln, deren Verlauf und Resultat er allein mir gegenüber zu verantworten hat. Ich möchte Ih-
nen nahe legen,
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