Tod in Breslau
gesteppten Hausmantel und Pantoffeln aus
hellem Leder. Seine Augen blickten düsterer als sonst,
sein hageres, zerfurchtes Gesicht glühte.
»Was für eine Ehre, dass Exzellenz die Mühe nicht ge-
scheut haben, höchstselbst bei mir zu erscheinen!« Er
verzog das Gesicht zu einem verbindlichen Lächeln.
Dann wurde er plötzlich ernst: »Komm rein, setz dich
und stell keine Fragen!«
»Nur eine!« Mock war sichtlich verärgert. »Wen woll-
test du anrufen?«
»Damit werde ich beginnen. Ich hätte Udo von
Woyrsch, den Breslauer SS-Chef, angerufen. Ein Adliger
aus bestem Hause, irgendwie sogar entfernt verwandt mit
den von der Maltens. Er wäre mir sicherlich dabei behilf-
lich gewesen, zum neuen Gestapo-Chef Erich Kraus vor-
zudringen. Weißt du … seit etwa einer Woche ist von
Woyrsch in fabelhafter Stimmung. In der ›Nacht der lan-
gen Messer‹ hat auch er seines gewetzt und sich seiner
Feinde entledigt: Helmuth Brückner, Hans Peter von
Heydenbreck und noch einige andere SA-Leute. Und
welch schreckliches Schicksal hat unseren lieben Bonvi-
vant und Eroberer von Knabenherzen Edmund Heines
ereilt! Er wurde von SS-Männern im schönen bayrischen
Bad Wiessee ermordet. Sie haben ihn aus dem Bett ge-
zerrt, und zwar nicht aus irgendeinem, sondern aus dem
von SA-Chef Ernst Röhm höchstpersönlich – dem übri-
gens wenig später dasselbe Schicksal wie seinem Gelieb-
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ten widerfuhr. Und was ist mit unserem lieben, guten Pi-
ontek geschehen, dass er sich in seinem Garten aufge-
hängt hat? Angeblich haben sie seiner Frau ein Foto ge-
zeigt, auf dem der gute alte Walter, angetan mit einer Ku-
gelhaube, mit einem neunjährigen Mädchen etwas tut,
was man in der Antike wohl … Päderastie genannt hat.
Wenn er sich nicht selbst umgebracht hätte, dann hätten
sich unsere braunen Kerle aus der Neudorfstraße gewiss
gerne seiner angenommen.«
Der Baron, ein eingefleischter Liebhaber Homers, be-
herrschte das retardierende Moment. Diesmal hatte ihm
seine Vorrede dazu gedient.
»Ich möchte dich nur eines fragen. Sag es mir klipp
und klar: Willst du, dass Kraus die von mir aufbewahrten
Dokumente in die Hände bekommt, aus denen unbe-
streitbar hervorgeht, dass der Chef der Kriminalabteilung
ein Freimaurer war? Sag entweder Ja oder Nein. Du
weißt, Kraus ist erst seit wenigen Tagen im Amt und
wünscht sich nichts mehr, als sich ein paar Sporen zu
verdienen, um den Leuten in Berlin, die ihn gefördert ha-
ben, zu beweisen, dass ihre Wahl richtig war. Dieser
Mann ist ein größerer Nazi als der Führer selbst. Willst
du, dass unser Breslauer Adolf die ganze Wahrheit über
deine Karriere erfährt?«
Mock rutschte unruhig auf seinen Stuhl herum. Die
exquisite Zigarre schmeckte plötzlich säuerlich. Er hatte
schon früher gewusst, dass ein Schlag gegen Röhm und
seine schlesischen Anhänger geplant war, doch es war
ihm eine große Genugtuung gewesen, seinen Leuten jeg-
liche Intervention zu verbieten. »Diese Schweine sollen
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sich gegenseitig abschlachten!«, hatte er dem einzigen
verschwiegenen Polizisten im Präsidium anvertraut.
Nichtsdestoweniger hatte er eine diebische Freude dabei
empfunden, der SS einige kompromittierende Fotos zu-
zuspielen. Das Verhängnis von Piontek, Heines und
Brückner hatte er mit Champagner begießen wollen.
Aber als er einsam einen Toast ausbringen wollte, waren
ihm die Worte im Halse stecken geblieben. Ihm war
plötzlich klar geworden, dass es unter den Banditen
zwar eine Säuberungsaktion gegeben hatte – dass der
Rest von ihnen aber weiterhin regieren würde. Es hatte
einige üble Gesellen unter ihnen getroffen – aber es
konnten noch üblere nachkommen. Und nun bestätigte
sich diese Befürchtung: Erich Kraus war der schlimmste
Nazi von allen.
»Du brauchst nicht zu antworten, du mieser, kleiner
Schustersohn aus Waidenburg! Du elender Empor-
kömmling, du Krämerseele, du mittelmäßiger Gerne-
groß! Und deine Horaz-Interpretationen besaßen nie
mehr Finesse als ein Schusterleisten! Ne sutor supra cre-pidam. Dieser Empfehlung bist du nicht gefolgt. Schlimmer noch: Du hast mit deinen Lügen dein eigenes Nest
beschmutzt. Für deine Karriere. Du bist aus der Loge
ausgetreten. Du hast heimlich mit der Gestapo zusam-
mengearbeitet. Frag mich nicht, woher ich das weiß …
Natürlich hast du auch das nur für die Karriere getan.
Am meisten hat dir jedoch meine Tochter bei deiner Kar-
riere geholfen. Erinnerst du
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