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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Hand griff nach einem Tisch-
    chen, auf das jemand einen Aschenbecher ausgeleert hat-
    te.
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    In seinem Kopf hämmerte es mit unverminderter Ge-
    walt, er atmete schwer, ein Röcheln entrang sich seiner
    Kehle. Einen Moment lang kämpfte er mit sich: Er wollte
    sich zu der betrunkenen Frau legen, aber als er sie ansah
    und den üblen Geruch wahrnahm, der ihrer Mundhöhle
    mit den schlechten Zähnen entströmte, verwarf er diesen
    Gedanken mit Entschiedenheit. In einer Zimmerecke
    entdeckte er seinen zerknitterten Anzug. So rasch er nur
    konnte, kleidete er sich in der Dunkelheit des Stiegenhau-
    ses an und wankte auf die Straße, deren Namen er sich
    einprägte: Weserstraße. Wie er hierher geraten war,
    wusste er nicht mehr. Er pfiff einer vorbeifahrenden
    Droschke. Es waren jetzt bereits fünf Tage, die Kriminal-
    assistent Herbert Anwaldt unausgesetzt betrunken war.
    Mit nur kurzen Unterbrechungen hatte er allerdings
    schon die letzten sechs Monate getrunken.

    Berlin, Donnerstag, 5. Juli 1934.
    Acht Uhr morgens

    Kriminalkommissar Heinrich von Grappersdorff schäum-
    te vor Wut. Er schlug mit der geballten Faust auf den
    Tisch und brüllte aus voller Kehle. Anwaldt glaubte, dass
    der heftig geschwollene Stiernacken seines Chefs jeden
    Moment seinen schneeweißen Hemdkragen sprengen
    würde. Ansonsten machte er sich allerdings nicht allzu
    viele Sorgen wegen des Gezeters. Zum einen, weil sein
    Kater alle äußeren Eindrücke nur wie durch dichten Ne-
    bel gedämpft in seinen Kopf vordringen ließ, zum ande-
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    ren wusste er, dass der »Büffel aus Stettin« eigentlich
    noch gar nicht richtig in Rage geraten war.
    »Da, schauen Sie sich doch an!« Von Grappersdorf
    packte seinen Assistenten an den Schultern und zerrte
    ihn vor einen Spiegel mit geschnitztem Rahmen. Diese
    Geste empfand Anwaldt durchaus als angenehm – als wä-
    re es eine raue, männliche Zuneigungsbekundung. Aus
    dem Glas blickte ihm ein hagerer, dunkelhaariger und
    unrasierter Mann entgegen. Das von roten Äderchen
    durchzogene Weiß seiner Augen verschwand fast unter
    seinen geschwollenen Augenlidern, die blasse Haut seiner
    eingefallenen Wangen und die von tiefen Furchen durch-
    zogene Stirn, an der seine wirren Haare klebten – das al-
    les verriet deutlich seine fünftägige Sauftour.
    Von Grappersdorff ließ Anwaldt jäh los und wischte
    sich angewidert die Hände ab. Er stellte sich hinter seinen Schreibtisch und nahm wieder die Pose eines Donnerge-waltigen ein.
    »Wie alt sind Sie, sagen Sie? Dreißig Jahre? Sie sehen
    mindestens aus wie vierzig. Als wären Sie gerade aus der
    Gosse gestiegen, verhurt und versoffen. Und das wegen
    einer Kanaille, die eine Unschuldsmiene zur Schau trägt,
    als könnte sie kein Wässerchen trüben. Es dauert nicht
    mehr lange, und jeder mickrige Berliner Bandit kann Sie
    für einen Humpen Bier kaufen! Aber ich will hier bei mir
    kein käufliches Gesindel haben!« Er holte Luft und pol-
    terte weiter: »Sie sind gefeuert, Schnapswaldt! Und zwar
    fristlos! Wegen unentschuldigten Fernbleibens fünf Tage
    lang!«
    Der Kommissar ließ sich in den Sessel fallen und zün-
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    dete sich eine Zigarre an. Er fixierte seinen einstmals besten Mitarbeiter durch die dicken Rauchwolken hin-
    durch. Die Wirkung von Anwaldts Kater hatte nachgelas-
    sen. Es dämmerte ihm, dass er in Kürze ohne Gehalt sein
    würde und er dann von Alkohol bestenfalls träumen
    könnte. Dieser Gedanke wirkte sofort. Er blickte seinen
    Chef flehentlich an. Der hatte sich gerade mit geheuchel-
    tem Interesse in einen Rapport vom Vortag vertieft. Von
    Grappersdorff wartete einen Moment, sah dann auf und
    versetzte barsch:
    »Die Entlassung betrifft Ihren Einsatz bei der Berliner
    Polizei. Ab morgen werden Sie Ihren Dienst im Breslauer
    Präsidium antreten. Eine sehr bedeutende Persönlichkeit
    möchte Sie mit einer schwierigen Mission betrauen. Na,
    was sagen Sie? Gefällt Ihnen mein Angebot, oder ziehen
    Sie es vor, am Kurfürstendamm betteln zu gehen? Zumal
    Ihre zukünftigen Kumpane vielleicht gar nicht bereit sein
    werden, dort noch ein Plätzchen für Sie freizumachen …«
    Anwaldt bemühte sich, nicht in Tränen auszubrechen.
    Er konnte nicht einmal über das Angebot von Grappers-
    dorff nachdenken, da er seine ganze Kraft daransetzen
    musste, ein Schluchzen zu unterdrücken. Jetzt war die
    Rage seines Vorgesetzten echt:
    »Was ist, gehst du nach Breslau oder nicht, du Penn-
    bruder?!«
    Anwaldt nickte. Augenblicklich beruhigte sich

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