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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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etwaigen Bitten von seiner Seite prompt
    und exakt nachzukommen. Wir sind übereingekommen,
    dass Kriminalassistent Anwaldt während der Bearbeitung
    dieses Falles so etwas wie Ihr Vorgesetzter sein wird.
    Selbstverständlich ist Herr Forstner davon ausgenom-
    men.« Mock löschte seine Zigarette und schwieg. Die an-
    deren wussten, dass jetzt der wichtigste Punkt der Be-
    sprechung kommen werde. »Meine Herrschaften, wenn
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    Sie die Anweisungen von Assistent Anwaldt kurzfristig
    von ihrer aktuellen Arbeit abhalten sollten, dann legen
    Sie diese eben beiseite. Der Fall unseres neuen Kollegen
    ist im Moment vorrangig. Das ist alles, Sie können wieder
    an die Arbeit gehen.«

    Anwaldt sah sich neugierig in Mocks Arbeitszimmer um.
    Selbst bei genauer Betrachtung konnte man nichts Indi-
    viduelles entdecken, nichts, was dem Raum eine persönli-
    che Note verliehen hätte. Alles stand an seinem Ort, es
    herrschte eine fast sterile Sauberkeit. Fast schien es, als stünden hier alle Gegenstände stramm – bis der Direktor
    diese scheinbare Harmonie mit einem Mal zerstörte. Er
    zog sein Jackett aus und warf es über eine Stuhllehne.
    Zwischen den extravagant gemusterten hellblauen Ho-
    senträgern (nackte ineinander verschlungene Frauenkör-
    per) wölbte sich stolz sein beträchtlicher Bauch. Anwaldt
    war erleichtert, endlich einen Menschen aus Fleisch und
    Blut vor sich zu sehen, er lächelte. Mock bemerkte es
    nicht, ging zum Telefon und orderte zwei Gläser starken
    Tee.
    »Nichts ist besser gegen den Durst bei dieser Hitze. Al-
    so schauen wir mal …« Er schob Anwaldt eine Schachtel
    mit Zigarren hin. Langsam und bedächtig schnitt er von
    einer die Spitze ab. Mocks Assistent Dietmar Krank kam
    mit einer Kanne herein.
    »Womit möchten Sie beginnen, Anwaldt?«
    »Ich hätte einen Vorschlag, Herr Direktor …«
    »Lassen wir die Titel. Ich bin nicht so ein Zeremoni-
    enmeister wie der Baron.«
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    »Natürlich, ganz wie Sie wünschen. Ich habe die ge-
    strige Nacht damit verbracht, die Akten zu studieren.
    Mich würde interessieren, ob Sie etwas mit der folgenden
    Theorie anfangen können: Jemand hat Friedländer zum
    Sündenbock gemacht, ergo: Jemand will den wirklichen
    Täter schützen. Und vielleicht ist gerade dieser »Jemand«
    der Täter. Ich muss denjenigen oder diejenigen finden,
    die Friedländer belastet haben oder – mit anderen Wor-
    ten – die Ihnen Friedländer zum Fraß vorgeworfen ha-
    ben. Ich werde, denke ich, bei Baron Köpperlingk begin-
    nen, denn er war es, der Sie zuerst auf Friedländer auf-
    merksam gemacht hat.« Anwaldt unterdrückte ein Grin-
    sen. »Und – unter uns gesagt – wie kam es eigentlich,
    dass Sie glaubten, ein sechzigjähriger Mann könne in ei-
    ner halben Stunde einen Eisenbahner erschlagen, danach
    zwei Geschlechtsakte vollziehen, was ihm, wie man sich
    denken kann, seine Opfer wohl nicht gerade leicht ge-
    macht haben, danach die Opfer ermorden, seine Schnör-
    kel an die Wand malen, um dann durchs Fenster zu
    springen und sich in Luft aufzulösen? Zeigen Sie mir ei-
    nen Zwanzigjährigen, der so etwas fertig brächte!«
    »Nun, mein Lieber.« Mock lächelte. Der naive Enthu-
    siasmus Anwaldts gefiel ihm. »Überdurchschnittliche, ja
    übermenschliche Kräfte sind bei Epileptikern keineswegs
    selten, besonders nach einem Anfall. Solch ein Verhalten
    ist nichts anderes als ein Effekt, der durch bestimmte
    Hormone gesteuert wird. Darüber hat mich Friedländers
    Arzt Doktor Weinsberg aufgeklärt. Ich habe keinen
    Grund, ihm zu misstrauen.«
    »Eben. Sie vertrauen ihm. Ich aber vertraue nieman-
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    dem. Ich möchte unbedingt selbst mit diesem Arzt spre-
    chen. Vielleicht hat ihm jemand aufgetragen, Ihnen etwas
    über die angeblichen übernatürlichen Fähigkeiten der Epi-
    leptiker, über Trancezustände und Derwische und ande-
    ren derartigen …«, Anwaldt suchte nach einem Wort,
    »anderen derartigen Mumpitz zu erzählen.«
    Mock nippte an seinem Tee.
    »Sie sind sehr kategorisch, junger Mann.«
    Anwaldt trank gierig einige Schlucke. Er wollte dem
    Direktor um jeden Preis zeigen, dass er in solchen Din-
    gen bewandert war. Doch es war gerade jene Selbstsi-
    cherheit, die ihm am meisten fehlte. Er benahm sich wie
    ein kleiner Junge, der nachts ins Bett gemacht hat, und
    morgens nicht weiß, was er nun mit sich und dem klei-
    nen Unglück anfangen soll. (Ich bin auserwählt worden.
    Ich bin ein Auserwählter, ich werde eine Menge Geld verdienen.) Er trank seinen

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