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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Tee aus.
    »Ich bitte Sie um das Protokoll des Verhörs mit Fried-
    länder.« Er bemühte sich, seine Stimme fest und be-
    stimmt klingen zu lassen.
    »Was wollen Sie mit dem Protokoll?«, entfuhr es
    Mock. Ihm war nicht mehr zum Scherzen zu Mute. »Sie
    sind schon jahrelang bei der Polizei, da wissen Sie sicher, dass man manchmal dem Zeugen ein wenig nachhelfen
    muss. Protokolle werden immer ein wenig geschönt. Ich
    werde Ihnen am besten selber erzählen, wie das war.
    Denn schließlich habe ich ihn verhört.« Er blickte aus
    dem Fenster und versuchte sich eilig etwas zurechtzule-
    gen. »Ich habe ihn nach seinem Alibi gefragt. Er hatte
    keins. (Gestapomann Konrad hat ihn schnell zum Spre-
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    chen gebracht. Der hat seine Methoden.) Als ich ihn über die geheimen Schriftzeichen in seinem dicken Notizbuch
    befragt habe, hat er nur gelacht, und ich musste ein wenig handgreiflich werden. Dann hat er gesagt, das sei eine
    Nachricht für seine Brüder, die ihn rächen wollen. (Ich habe hören können, wie Konrad eine Sehne mit seinem
    Rasiermesser durchschnitt.) Da ich also wohl noch entschiedener vorgehen musste, habe ich gedroht, man wer-
    de seine Tochter vorladen müssen. Das hat gewirkt. Er
    wurde sofort lammfromm und hat gestanden. Das ist
    schon alles. (Armes Mädchen … aber was blieb mir übrig, ich musste sie Piontek ausliefern. Der hat sie morphium-süchtig gemacht und sie einigen von den Bonzen und Or-
    densträgern ins Bett gelegt.) «
    »Und Sie haben dem Wahnsinnigen geglaubt, den Sie
    auf diese Art erpresst haben?« Anwaldt riss ungläubig die
    Augen auf.
    Mock amüsierte sich aufrichtig. Jetzt befand er sich in
    der selben Rolle wie damals Mühlhaus – in der des gut-
    mütigen Großvaters, der dem fantasierenden Enkel über
    den Kopf streicht.
    »Genügt Ihnen das nicht?« Um seine Lippen spielte ein
    ironisches Lächeln. »Da gibt es einen wahnsinnigen Epi-
    leptiker, der, wie sein Arzt behauptet, nach seinen Anfäl-
    len wahre Wunder vollbringen kann. Er hat kein Alibi, er
    schreibt geheimnisvolle Texte in Notizbücher. Wenn Sie
    mit diesen Fakten immer noch weiter nach einem ande-
    ren Mörder suchen würden, dann wären Sie damit bis
    zum Sankt-Nimmerleins-Tag beschäftigt! Vielleicht war
    es ja dieser übertriebene Forschergeist, der es bewirkt hat, 90
    dass der alte von Grappersdorff Sie von Berlin in die Pro-
    vinz versetzt hat?«
    »Gut, Herr Direktor, aber seien Sie mal ehrlich: Waren
    Sie denn wirklich von all dem überzeugt?«
    Mock ließ nun, zuerst noch zögernd, seiner Irritation
    freien Lauf. Er liebte das Gefühl, die aufwallende Woge
    seiner Emotionen noch vollständig im Griff zu haben
    und in Ruhe den Zeitpunkt und das Ausmaß ihres end-
    gültigen Ausbruchs bestimmen zu können.
    »Wollen Sie endlich mit den Untersuchungen zum Fall
    beginnen, oder möchten Sie lieber ein psychologisches
    Gutachten über meine Person erstellen?!«, brüllte er.
    Doch das hatte nicht die erwünschte Wirkung. Anwaldt
    ließ sich nicht einschüchtern. Geschrei beeindruckte ihn
    nicht mehr, denn allzu oft hatte er das in seiner Kindheit bereits erlebt.
    »Pardon«, sagte der Assistent schlicht. »Ich wollte Sie
    nicht beleidigen.«
    »Mein Sohn«, Mock streckte sich neuerlich gelassen in
    seinem Stuhl aus und spielte mit seinem Ehering. In Ge-
    danken war er schon dabei, eine detailgenaue Charakteri-
    stik von Anwaldt zu entwerfen. »Wenn ich so zart besai-
    tet wäre, hätte ich wohl kaum an die fünfundzwanzig Jah-
    re bei der Polizei arbeiten können.« Er hatte sofort be-
    merkt, dass Anwaldts Zerknirschtheit geheuchelt war.
    Das hatte sein Interesse geweckt, und er beschloss, auf
    dessen Spielchen einzugehen.
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Aber Sie haben
    mir Ihre Schwäche gezeigt. Ich geben Ihnen einen guten
    Rat: Ihre Schwachstellen sollten Sie immer verstecken, bei 91
    anderen hingegen müssen Sie sie aufdecken. So kann
    man sich andere gefügig machen. Wissen Sie, wie dien-
    lich es ist, etwas gegen jemanden in der Hand zu haben?
    Das Ende der Schlinge in der Hand zu halten, worin der
    Kopf eines anderen steckt? Diese Schlinge, das kann beim
    einen das Glücksspiel sein, beim anderen seine Vorliebe
    für früh entwickelte Kleinmädchenbrüste und beim näch-
    sten vielleicht … seine jüdische Abstammung. Ich habe
    unzählige Male die Oberhand gewonnen, indem ich eine
    solche Schlinge ein klein wenig zugezogen habe.«
    »Haben Sie auch meinen Kopf schon in einer

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