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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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be-
    gonnen. Anwaldts Kopf zu umkreisen. Anwaldt wand sich
    auf dem Stuhl, an den er gefesselt war, und warf den Kopf
    nach beiden Seiten. Das Insekt landete auf seinem Schlüs-
    selbein und bohrte seinen Stachel in die Haut, bevor An-
    waldt das Tier mit seinem Kinn zerquetschen konnte. Ein
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    höllischer Schmerz durchfuhr ihn. Augenblicklich bilde-
    ten sich auf Kinn und Schlüsselbein bläuliche, pulsierende Schwellungen. Der gelbschwarz gestreifte Körper des zerdrückten Insekts krümmte sich auf dem Boden der Zelle.
    Jetzt löste sich die zweite Hornisse von der Wand und
    griff an, auch sie fühlte sich offenbar von Anwaldts Lip-
    pen angezogen. Er neigte seinen Kopf, und die Hornisse
    traf genau seinen Augenwinkel. Ein weiterer schmerzhaf-
    ter Stich, und eine Schwellung begann sich über Anwaldts
    ganzes linkes Auge auszubreiten. Mit einer heftigen Kopf-
    bewegung wollte er das Tier abschütteln, doch er verlor
    das Gleichgewicht und stürzte mit dem Stuhl auf den Be-
    tonboden. Dunkelheit breitete sich über ihn.
    Wieder ließ ihn ein Kübel mit Eiswasser aus seiner
    Ohnmacht aufschrecken. Der Standartenführer entließ
    seinen Helfer mit einer Handbewegung. Er packte den
    Stuhl an der Lehne und brachte Anwaldt wieder in die
    aufrechte Position.
    »Alle Achtung!« Er besah sich scheinbar besorgt das
    geschwollene Gesicht seines Opfers. »Zwei Hornissen
    sind auf dich losgegangen, und beide hast du zur Strecke
    gebracht.«
    Anwaldts Gesichtshaut spannte sich schmerzhaft über
    den harten, kugelförmigen Geschwüren. Beide Hornissen
    lagen noch zuckend auf dem unebenen Boden.
    »Sag mir mal, Anwaldt … sollen wir’s gut sein lassen?
    Oder willst du, dass ich diese lieben Tierchen noch ein-
    mal um Hilfe bitte? Weißt du übrigens, dass ich noch viel
    größere Angst vor ihnen habe als du? Na? Sollen wir’s gut
    sein lassen?«
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    Der Gefangene nickte erschöpft, als der Dicke in die
    Zelle kam und einen Stuhl vor den Offizier stellte. Dieser setzte sich rittlings darauf, stützte seine Ellbogen auf die Lehne und blickte sein Opfer wohlwollend an.
    »Für wen arbeitest du?«
    »Für die Abwehr.«
    »Aufgabe?«
    »Ein polnisches Spionagenetz aufbauen.«
    »Warum haben sie ausgerechnet dich aus Berlin ge-
    holt? Gibt es denn dafür in Breslau keinen Geeigneten?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe den Befehl bekommen.«
    Anwaldt hörte eine fremde Stimme aus seiner eigenen
    Kehle. Jedes Wort wurde begleitet von einem stechenden
    Schmerz im Rachen und in den verhärteten Muskeln zwi-
    schen den Beulen, die sich um die Einstichstellen an Au-
    ge und Kiefer gebildet hatten.
    »Bitte binden Sie mich los«, flüsterte er.
    Der Standartenführer blickte ihn wortlos an. In seinen
    Augen leuchtete etwas wie Warmherzigkeit auf.
    »Also ein polnisches Spionagenetz willst du hier auf-
    ziehen. Und was haben Baron von Köpperlingk und Ba-
    ron von der Malten damit zu tun?«
    »Auf Köpperlingks Ball war ein Mann, nach dem ich
    gesucht habe. Von der Malten hat damit nichts zu tun.«
    »Wie heißt dieser Mensch?«
    Das freundliche Gesicht des Folterers verwirrte An-
    waldt. Er sog die stickige Luft tief ein und flüsterte:
    »Ich kann es nicht sagen …«
    Einen Moment lang lachte der Gestapo-Mann lautlos,
    bevor er mit einem merkwürdigen Monolog begann. Mit
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    Donnerstimme stellte er Fragen, auf die er selbst in piep-
    sendem Falsett antwortete.
    »Wer hat dich auf dem Ball des Barons so zugerichtet?
    Das war so ein Kraftprotz, Herr Offizier. Hast du Angst
    vor diesem Kraftprotz? Ja, Herr Offizier. Aber vor Hor-
    nissen hast du keine Angst? Doch, Herr Offizier, auch vor
    denen habe ich Angst. Wie das? Du hast doch zwei davon
    einfach tot geschlagen? Sogar ohne deine Hände? Ah, ich
    verstehe, Anwaldt: Zwei sind zu wenig für dich … aber
    wir haben noch einen kleinen Vorrat …«
    Der Gestapo-Mann beendete seinen Wechselgesang
    und drückte bedächtig seine Zigarette auf Anwaldts ge-
    schwollenem Schlüsselbein aus.
    Ein unmenschlicher Schrei drängte sich aus Anwaldts
    erstickter Kehle. Er lag auf dem Boden und schluchzte.
    Eine Minute. Zwei. »Konrad!«, rief der Standartenführer.
    Ein weiterer Kübel kalten Wassers brachte Anwaldt zum
    Schweigen. Der Offizier zündete sich eine neue Zigarette
    an und blies auf die Glut. Anwaldt starrte entsetzt auf das glühende Ende der Zigarette.
    »Der Name des Verdächtigen?«
    »Paweł Krystek.«
    Der Gestapo-Mann stand auf und ging hinaus. Nach
    fünf Minuten kam er

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