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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Schwindel. Er trank eine ganze
    Flasche Limonade, schloss die Augen und ließ aus seinen
    Gedanken wieder Sätze werden. (Lea Friedländer weiß,
    wer ihren Vater verleumdet und zum Sündenbock gemacht
    hat. Es könnte jemand von der Gestapo sein. Wenn sie
    nicht wagt, es mir zu sagen, werde ich sie zwingen müssen.
    Ich werde ihr das Rauschgift entziehen, ihr mit der Injekti-onsnadel winken, dann wird sie alles tun, was ich von ihr verlange!) Er schüttelte das erotische Bild ab, das sich in seine Gedanken eingeschlichen hatte, stand auf (Reiß dich zusammen!) und ging im Zimmer auf und ab. In lauten Gedanken ließ er seinen Zweifeln freien Lauf:
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    »Wo könnte ich sie am besten zum Sprechen zwingen?
    In einer Zelle. Nur in welcher Zelle? Hier, im Polizeiprä-
    sidium. Wozu habe ich Smolorz? Na, wunderbar – wir
    sperren unser hübsches Püppchen in eine Zelle, und eine

Stunde später wissen es alle Gefängnisaufseher und Poli-
    zisten. Und unter Garantie weiß es die Gestapo.«
    Wenn Anwaldts Unwillen übergroß wurde, lenkte er
    seine Gedanken gewöhnlich schnell in eine ganz andere
    Richtung. So auch jetzt: Er begann die Akte des Barons zu
    studieren und fand ein paar Fotos, die eine Orgie zwi-
    schen Büschen und Bäumen zeigten, und eine Liste ihm
    unbekannter Namen – die Teilnehmer an diesem Ver-
    gnügen. Kein einziger klang türkisch. Über den Gastge-
    ber gab es sehr wenige Angaben. Ein recht alltäglicher
    Lebenslauf, der auf eine gründliche Ausbildung des preu-
    ßischen Aristokraten schließen ließ, sowie einige dienstliche Notizen über die Treffen des Barons mit SA-
    Hauptsturmführer Walter Piontek.
    Anwaldt knöpfte sein Hemd zu und band sich die
    Krawatte. Gemächlich trottete er hinunter ins Polizeiar-
    chiv, unterwegs holte er den in Breslau gültigen Dienst-
    ausweis ab. (Raff dich auf!) Im Keller des Polizeipräsidiums erwartete ihn jedoch eine herbe Enttäuschung: Auf
    Befehl des Dienst habenden stellvertretenden Direktors
    Doktor Engel war Pionteks Akte dem Archiv der Gestapo
    übergeben worden.
    Anwaldt bewältigte den Weg zurück in sein Zimmer
    nur mit allergrößter Anstrengung. Sein angeschwollener
    Fuß schmerzte höllisch, und sämtliche Wunden und
    Schürfungen brannten wie Feuer. Er setzte sich wieder an
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    seinen Schreibtisch und fragte Mock, der sich gewiss ge-
    rade am Strand von Soppot vergnügte, mit krächzender
    Stimme:
    »Wann kommst du zurück, Eberhard? Wenn du jetzt
    hier wärest, könntest du aus der Gestapo die Akten von
    Piontek und von Köpperlingk herauskitzeln … Du wür-
    dest ein geeignetes Versteck finden, um Lea eine kleine
    Entzugstherapie zu verpassen … und bestimmt könntest
    du auch ein wenig an der Schlinge um den Hals dieses
    übergeschnappten Barons zupfen … wann kommst du
    endlich zurück?«
    Die Sehnsucht nach Mock wurde abgelöst von der
    Sehnsucht nach dem Geld des Barons, nach einer tropi-
    schen Insel, nach Sklavinnen mit seidiger Haut … (Einen schönen Turm hast du aus deinen Klötzen gebaut, Herbert! Raff dich auf, zwing Lea zum Sprechen, bist du nicht allein dazu im Stande? Einen schönen Turm hast du gebaut, Herbert!)
    VI
    Breslau, Dienstag, 10. Juli 1934.
    Sieben Uhr abends

    Die Hansastraße führte auf eine Hauptstraße hinaus, hier
    fand Anwaldt ein kleines Restaurant. Es war eine berufs-
    bedingte Gewohnheit, sich den Namen des Eigentümers
    und dessen genaue Adresse zu notieren: Paul Seidel,
    Tiergartenstraße 33. Er aß dort drei heiße Würstchen mit
    Erbspüree und trank zwei Flaschen Deinert-Mineral-
    wasser.
    Ein wenig müde und schwerfällig vom Essen, stand er
    kurz darauf vor dem Fotostudio »Fatamorgana«. Wie
    beim letzten Mal musste er recht heftig und ausdauernd
    gegen die Tür hämmern, bis der alte Hausmeister aus
    dem Tor auf das Trottoir geschlurft kam. (Wahrschein-
    lich hat sie sich wieder eine Dosis Morphium gespritzt.
    Aber das wird das letzte Mal sein!)
    »Ich habe nicht gesehen, dass Fräulein Susanne aus
    dem Haus gegangen ist. Ihr Dienstmädchen ist vor einer
    Stunde gegangen …«, brummte der Alte, während er
    Anwaldts Dienstausweis überprüfte.
    Anwaldt zog das Jackett aus und ließ resigniert den
    Strömen von Schweiß ihren Lauf. Er versuchte nicht erst,
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    sie zu trocknen und setzte sich auf eine steinerne Bank im Hof neben einen schlummernden Pensionisten mit
    durchlöchertem Hut. Plötzlich fiel sein Blick auf ein Oberlicht von Leas Wohnung, dass nicht ganz geschlossen
    war. Anwaldt

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