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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Gestapo-Mann ging in der engen Zelle auf und ab.
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    Es herrschte ein derart intensiver Schweißgeruch, dass
    man die Luft hätte schneiden können.
    »Schaut schlecht aus, hm?« Es schien, als wartete er auf
    eine Antwort.
    »Ja …«, keuchte Anwaldt. Seine Zunge stieß an die
    scharfe Kante eines abgebrochenen Schneidezahns. »Alles
    ist schlecht in dieser Stadt.«
    Der Mann ging um den Stuhl herum. »Jaaa, Anwaldt.
    Was willst du dann eigentlich hier … in diesem Babylon,
    was hat dich hierher verschlagen?«
    Er steckte sich eine Zigarette an und legte dem Gefan-
    genen das brennende Streichholz sorgfältig auf den Schei-
    tel. Anwaldt machte eine so heftige Bewegung, dass er samt Stuhl ins Schwanken geriet. Der Gestank nach verbrann-tem Haar nahm ihm fast den Atem. Der zweite Scherge,
    ein schwitzender Dicker, warf Anwaldt einen feuchten
    Fetzen über den Kopf, der das Feuer erstickte. Doch seine
    Fürsorge war nicht von Dauer. Mit einer Hand hielt der
    Dicke Anwaldt die Nase zu, während er ihm mit der ande-
    ren den Fetzen in den Mund stopfte.
    »Na, Berliner, was hast du hier in Breslau zu suchen?«,
    fragte er mit gedämpfter Stimme.
    »Es reicht Konrad.«
    Als er von dem stinkenden Knebel befreit war, konnte
    Anwaldt sich lange nicht von seinem Hustenanfall erho-
    len. Geduldig wartete der schlanke Gestapo-Mann auf ei-
    ne Antwort. Als er keine bekam, schaute er seinen Kum-
    pan an.
    »Herr Anwaldt will nicht antworten, Konrad. Man
    kann ihm ansehen, dass er sich sicher fühlt. Er ist der An-183
    sicht, dass er unter irgendeinem Schutz steht. Aber wer
    schützt ihn?« Er streckte die Hände aus. »Vielleicht Kri-
    minaldirektor Eberhard Mock? Aber Mock ist gerade
    nicht hier. Kannst du Mock irgendwo sehen, Konrad?«
    »Nein, Herr Standartenführer.«
    Der Schlanke neigte den Kopf und bettelte:
    »Ich weiß, ich weiß, Konrad. Deine Methoden sind
    unvergleichlich. Kein Geheimnis bleibt im Dunkeln, kein
    Name entschlüpft dem Gedächtnis, wenn du deine Pati-
    enten verhörst. Aber dieses Mal, erlaubst du mir, dass ich diesen Patienten behandle? Darf ich?«
    »Natürlich, Herr Standartenführer.«
    Lächelnd verließ Konrad die Zelle. Der Standartenfüh-
    rer öffnete eine abgewetzte Tasche und nahm eine Liter-
    flasche und ein geschlossenes Einmachglas heraus. Den
    Inhalt der Flasche – irgendeine Lösung – goss er Anwaldt
    über den Kopf, und dieser spürte einen süßlichen Ge-
    schmack auf der Zunge.
    »Das ist Honigwasser, siehst du, Anwaldt?« Sein Peini-
    ger griff nach dem Einmachglas. »Und weißt du, was das
    ist? Neugierig, was? Warte nur, warte nur ein wenig …
    gleich sag ich’s dir.« Er schüttelte das Glas einige Male.
    Ein tiefes, wütendes Summen drang aus dem Behälter.
    Anwaldt sah, wie zwei große Hornissen im Glas aufein-
    ander losgingen und immer wieder an die Wände stie-
    ßen.
    »Ach, diese schrecklichen Ungeheuer …« Der Gesta-
    pomann hatte einen jammernden Ton in der Stimme.
    Unvermittelt holte er weit aus und schleuderte das Glas
    mit aller Kraft gegen die Zellenwand, wo es in tausend
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    Stücke zersprang. Noch bevor die verstörten Hornissen
    durch die Luft zu schwirren begannen, befand sich der
    Gefangene allein in der Zelle.
    Er hätte nie gedacht, dass diese Insekten mit ihren Flü-
    geln ähnliche Geräusche wie kleine Vögel erzeugten. Sie
    umkreisten zuerst das Drahtgitter, unter dem die Keller-
    leuchte angebracht war, doch dann sanken sie langsam
    immer tiefer. Sie vibrierten merkwürdig in der modrigen
    Luft. Der Honiggeruch lockte sie bald ganz in die Nähe
    von Anwaldts Kopf. Der bemühte seine ganze Phantasie,
    um nur seinen fühllosen Körper in dem Kerker zurück-
    zulassen. Und sie ließ ihn nicht im Stich. (Er ging über einen Strand, an dem sich sanfte, von einer frischen Brise gekräuselte Wellen brachen. Seine Füße versanken im.
    warmen Sand. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wind, der Sand begann weiß zu glühen, die Wellen verwandelten sich in hohe gischtgekrönte Wogen, türmten sich dröhnend auf und brachen über Anwaldt zusammen.)
    Die Vorstellungskraft versagte ihm ihren Dienst. Er
    fühlte eine leichte Luftbewegung in der Nähe seiner Lip-
    pen, die von Honigwasser klebten. Als er die Augen öffne-
    te, sah er eines der gereizten Tiere, das es wohl auf sein Gesicht abgesehen hatte. Anwaldt blies, so fest er konnte –
    und die Hornisse taumelte gegen die Wand, wo sie vorerst
    sitzen blieb. Doch inzwischen hatte auch die andere

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