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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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aufstehen!« Plötzlich blitzten
    über den Mauern die Läufe von Maschinenpistolen auf.
    Ein scharfes Geknatter zerriss die lastende Atmosphäre,
    Kugeln pfiffen über die Kiesallee, wirbelten Staubwolken
    auf und drangen in den schmächtigen Körper des Barons
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    – er sank zusammen und konnte sich nicht mehr aufrich-
    ten. »Hans, wo bist du?«
    Hans saß neben Max Forstner auf dem Rücksitz eines
    Mercedes mit laufendem Motor. Er schluchzte. Sein
    Schluchzen schwoll an, als zwei Männer mit rauchenden
    Maschinenpistolen herbeigelaufen kamen. Sie zwängten
    sich vorne in den Wagen und mit quietschenden Reifen
    fuhren sie los.
    »Hör auf zu heulen, Hans.« Die Stimme Forstners
    klang fürsorglich. »Du hast lediglich dein Leben gerettet.
    Und ich übrigens meines auch.«

    Breslau, 15. Juli 1934.
    Acht Uhr abends

    Kurt Wirth und Hans Zupitza wussten, dass sie Mock
    nichts abschlagen konnten. Die beiden Banditen, vor de-
    nen alle anderen Verbrecher Breslaus zitterten, schulde-
    ten dem »lieben Onkel Eberhard« doppelten Dank: Er-
    stens hatte er sie vor dem Strang bewahrt, und zweitens
    erlaubte er ihnen, ihr schmutziges, aber einträgliches
    Gewerbe auch weiterhin auszuüben – das natürlich im
    krassen Gegensatz zu den in Deutschland geltenden Ge-
    setzen stand. Im Gegenzug verlangte er von ihnen jedoch
    mitunter, ihre berufliche Meisterschaft in seinen Dienst
    zu stellen.
    Wirth hatte Zupitza vor zwanzig Jahren, auf dem
    Frachtdampfer »Prinz Heinrich«, kennen gelernt, der
    zwischen Danzig und Amsterdam verkehrte. Es hatte
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    nicht vieler Worte bedurft, um ihre Freundschaft zu be-
    siegeln – Zupitza war stumm. Wirth, ein schlauer Fuchs,
    klein, drahtig und zehn Jahre älter als Zupitza, hatte den zwanzigjährigen Koloss unter seine Fittiche genommen –
    und diese Entscheidung hatte er nie bereut, denn nur ei-
    nen Monat später hatte ihm Zupitza bereits das erste Mal
    das Leben gerettet. Es war in einer Taverne in Kopenha-
    gen gewesen. Drei betrunkene italienische Matrosen hat-
    ten sich vorgenommen, dem kleinen, schmächtigen
    Deutschen in rechter Lebensart zu unterrichten – in die-
    sem Fall darin, wie man »einen guten Tropfen« genießt.
    Diese Lektion in Trinkkultur bestand darin, Wirth gallo-
    nenweise billigen dänischen Säuerling einzuflößen. Als
    Wirth bereits vollkommen betrunken am Boden lag, be-
    schlossen die Italiener – da man dem deutschen Fritzen
    ohnehin keine Manieren beibringen könne –, dass es das
    Beste wäre, wenn dieser unzivilisierte Kerl für immer von
    der Bildfläche verschwände. Als geeignete Methode, die-
    sen Entschluss in die Tat umzusetzen, erschien es ihnen,
    einige Flaschen auf Wirths Kopf zu zerschlagen. Just in
    dem Moment betrat Zupitza die Kneipe – er hatte soeben
    um ein Haar den hölzernen Abtritt, in dem seine Jagd
    nach einer der zahlreichen Matrosentrösterinnen erfolg-
    reich geendet hatte, in seine Einzelteile zerlegt. Doch hat-te er dabei noch lange nicht seine ganze Kraft vergeudet.
    Es dauerte nur wenige Sekunden, und keiner der Italiener
    gab mehr einen Mucks von sich. Der finstere Kellner,
    dessen abstoßendes Äußeres fast jeden, der genauer hin-
    sah, in die Flucht schlug, zitterte wie Espenlaub, als er
    zwei Tage später beim Verhör durch die Polizei stockend
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    und stammelnd versuchte, das Krachen der Hiebe, das
    Zersplittern des Glases, das Stöhnen und Röcheln der
    Opfer zu schildern. Als Wirth wieder zu sich gekommen
    war, hatte er alles Für und Wider des Matrosenberufs ab-
    gewogen und ihn daraufhin ein für alle Mal an den Nagel
    gehängt, als er wieder in Amsterdam angelangt war. Auch
    Zupitza wollte wieder Festland unter den Füßen haben,
    und so wurden beide unzertrennlich. Doch das Meer hat-
    te seine Anziehungskraft auf beide nie ganz verloren.
    Wirth hatte eine damals in Europa noch unbekannte
    Weise entdeckt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen: Er
    zwang die Hafenschmuggler dazu, ihm eine Abgabe zu
    entrichten. Zusammen hatten Wirth und Zupitza eine
    Methode entwickelt, die hervorragend funktionierte, der
    eine der Kopf und der andere der Arm der gemeinsamen
    Unternehmungen. Wirth verhandelte mit den Schmugg-
    lern, und wenn sie sich nicht kooperativ zeigten, trat Zu-
    pitza in Aktion: Er schnappte sich die Delinquenten und
    machte kurzen Prozess. Fast überall im Europa der
    Nachkriegszeit war die Polizei hinter den beiden Bandi-
    ten her. Man fahndete von Hamburg bis Stockholm nach
    ihnen, auf allen Docks,

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