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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Abgründen seiner Fantasie
    hervorzaubert.« Er öffnete die Tür und bat seinen Assi-
    stenten:
    »Herr Stählin, könnten Sie mir bitte den Dienst ha-
    benden Bibliothekar schicken? Er soll auch gleich das
    Leihregister mitbringen.« Dann wandte er sich wieder
    seinen Gästen zu. »Gleich werden wir sehen, was unser
    Todesengel so liest.«
    Er trat zum Fenster und lauschte gedankenverloren
    den Rufen der Badenden in der Oder, die am Flusswerder
    gegenüber dem Dom umhertollten. Dann schüttelte er
    den Kopf. es fiel ihm wieder ein, dass er Gäste hatte.
    »Ach, ich bitte Sie, trinken Sie einen Tee. Starker, sü-
    ßer Tee ist eine wahre Wohltat bei dieser Hitze, das kann
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    man von den Beduinen lernen. Vielleicht eine Zigarre?
    Stellen Sie sich vor, das war die einzige Sache, nach der
    ich mich in der Sahara gesehnt habe. Ich betone: Sache,
    nicht Person … Natürlich habe ich einen ganzen Koffer-
    raum voll Zigarren mitgenommen, aber dann hat sich
    herausgestellt, dass das Volk der Tibbu noch versessener
    auf Zigarren ist als ich. Ich kann Ihnen versichern: Der
    bloße Anblick dieser Menschen ist so widerwärtig, dass
    man ihnen gerne alles gibt, was man bei sich hat – nur
    um so schnell wie möglich wieder wegschauen zu kön-
    nen. Mir ist es gelungen, sie mit meinen Zigarren zu kau-
    fen, damit sie mir etwas über ihren Stamm und ihre Her-
    kunft erzählen. Das war das Thema meiner Habilitation,
    die vor kurzem in Druck gegangen ist.« Hartner stieß ei-
    ne dicke Rauchwolke aus und wollte den Besuchern gera-
    de seine Arbeit präsentieren, als ihn Anwaldt unterbrach:
    »Gibt es dort eigentlich viel Ungeziefer, Herr Doktor?«
    »Oh, ja, sehr viel sogar. Stellen Sie sich nur vor: die eiskalte Nacht, zerklüftete Steilhänge, spitze Säulen aus nacktem Fels, Sand, der sich überall hineinfrisst, in den Schluchten wohnen grauenvolle Menschen mit Teufelsfratzen, die
    sich in schwarze Gewänder hüllen, und im Mondlicht
    winden sich Schlangen, krabbeln Skorpione …«
    »So sieht der Tod aus …«
    »Wie meinen Sie, Herr Inspektor?«
    »Oh, pardon, nichts. Aber Sie haben mit einer derarti-
    gen Eindringlichkeit erzählt, dass ich schon glaubte, ei-
    nen Todeshauch zu spüren …«
    »Den habe ich in der Sahara oft zu spüren bekommen.
    Aber zum Glück hat er mich nicht zur Gänze erfasst, so-
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    dass es mir doch noch beschieden war. meine Familie
    wieder zu sehen.« Er wies auf die schlanke, blonde Frau
    und einen etwa siebenjährigen Jungen, die gerade das
    Zimmer betreten hatten.
    »Ich bitte vielmals um Verzeihung, aber ich habe
    zweimal geklopft …« Die Frau sprach mit deutlich polni-
    schem Akzent. Mock und Anwaldt erhoben sich. Hartner
    blickte seine Familie zärtlich an und strich dem Jungen
    über den Kopf, der sich schüchtern hinter seiner Mutter
    versteckte.
    »Das macht doch nichts, meine Liebe. Erlaube, dass ich
    dir Direktor Eberhard Mock vorstelle, er ist der Chef der
    Kriminalabteilung des Polizeipräsidiums. Und das ist sein
    Assistent Herbert … Herbert …«
    »Anwaldt.«
    »Ja, Kriminalassistent Anwaldt. Gestatten Sie, das ist
    meine Frau Teresa Jankewitsch-Hartner und mein Sohn
    Manfred.«
    Sie begrüßten einander förmlich. Der Junge machte
    einen artigen Diener und sah Hilfe suchend seinen Vater
    an, der sich halblaut mit seiner Frau unterhielt. Diese hat-te mit ihrer eigenwilligen Schönheit bei beiden Männern
    lebhaftes – wenn auch ganz unterschiedlich geartetes –
    Interesse hervorgerufen. Mock betrachtete sie eher in-
    stinktiv – wie Casanova es getan hätte, Anwaldt kontem-
    plativ – wie Tizian sie hätte ansehen mögen. Sie war nicht die erste Polin, die ihn derart beeindruckte. Manchmal
    ertappte er sich bei dem absurden Gedanken, dass jene
    Frauen etwas Magisches an sich hatten. »Medea war eine
    Slawin«, dachte er dann. Anwaldt besah sich ihre feinen
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    Züge, die gebogene Nase und das zu einem Knoten ge-
    bundene Haar und hing dem melodischen Klang ihrer
    sanften Stimme nach. Er versuchte in Gedanken, ihre Ge-
    stalt, die geschwungene Linie ihrer Beine und ihre stolzen Brüste aus dem Sommerkleid herauszuschälen. Leider
    verabschiedete sich Frau Hartner, das Objekt ihrer so un-
    terschiedlichen, aber verwandten Sehnsüchte, zog ihren
    Sohn hinter sich her und verließ das Zimmer. In der Tür
    traf sie auf den alten, buckligen Bibliothekar, der ihr einen lüsternen Blick zuwarf – was ihrem Mann nicht ent-
    ging.
    »Na, Smetana, zeigen Sie schon her, was Sie

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