Tod in Breslau
Abgründen seiner Fantasie
hervorzaubert.« Er öffnete die Tür und bat seinen Assi-
stenten:
»Herr Stählin, könnten Sie mir bitte den Dienst ha-
benden Bibliothekar schicken? Er soll auch gleich das
Leihregister mitbringen.« Dann wandte er sich wieder
seinen Gästen zu. »Gleich werden wir sehen, was unser
Todesengel so liest.«
Er trat zum Fenster und lauschte gedankenverloren
den Rufen der Badenden in der Oder, die am Flusswerder
gegenüber dem Dom umhertollten. Dann schüttelte er
den Kopf. es fiel ihm wieder ein, dass er Gäste hatte.
»Ach, ich bitte Sie, trinken Sie einen Tee. Starker, sü-
ßer Tee ist eine wahre Wohltat bei dieser Hitze, das kann
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man von den Beduinen lernen. Vielleicht eine Zigarre?
Stellen Sie sich vor, das war die einzige Sache, nach der
ich mich in der Sahara gesehnt habe. Ich betone: Sache,
nicht Person … Natürlich habe ich einen ganzen Koffer-
raum voll Zigarren mitgenommen, aber dann hat sich
herausgestellt, dass das Volk der Tibbu noch versessener
auf Zigarren ist als ich. Ich kann Ihnen versichern: Der
bloße Anblick dieser Menschen ist so widerwärtig, dass
man ihnen gerne alles gibt, was man bei sich hat – nur
um so schnell wie möglich wieder wegschauen zu kön-
nen. Mir ist es gelungen, sie mit meinen Zigarren zu kau-
fen, damit sie mir etwas über ihren Stamm und ihre Her-
kunft erzählen. Das war das Thema meiner Habilitation,
die vor kurzem in Druck gegangen ist.« Hartner stieß ei-
ne dicke Rauchwolke aus und wollte den Besuchern gera-
de seine Arbeit präsentieren, als ihn Anwaldt unterbrach:
»Gibt es dort eigentlich viel Ungeziefer, Herr Doktor?«
»Oh, ja, sehr viel sogar. Stellen Sie sich nur vor: die eiskalte Nacht, zerklüftete Steilhänge, spitze Säulen aus nacktem Fels, Sand, der sich überall hineinfrisst, in den Schluchten wohnen grauenvolle Menschen mit Teufelsfratzen, die
sich in schwarze Gewänder hüllen, und im Mondlicht
winden sich Schlangen, krabbeln Skorpione …«
»So sieht der Tod aus …«
»Wie meinen Sie, Herr Inspektor?«
»Oh, pardon, nichts. Aber Sie haben mit einer derarti-
gen Eindringlichkeit erzählt, dass ich schon glaubte, ei-
nen Todeshauch zu spüren …«
»Den habe ich in der Sahara oft zu spüren bekommen.
Aber zum Glück hat er mich nicht zur Gänze erfasst, so-
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dass es mir doch noch beschieden war. meine Familie
wieder zu sehen.« Er wies auf die schlanke, blonde Frau
und einen etwa siebenjährigen Jungen, die gerade das
Zimmer betreten hatten.
»Ich bitte vielmals um Verzeihung, aber ich habe
zweimal geklopft …« Die Frau sprach mit deutlich polni-
schem Akzent. Mock und Anwaldt erhoben sich. Hartner
blickte seine Familie zärtlich an und strich dem Jungen
über den Kopf, der sich schüchtern hinter seiner Mutter
versteckte.
»Das macht doch nichts, meine Liebe. Erlaube, dass ich
dir Direktor Eberhard Mock vorstelle, er ist der Chef der
Kriminalabteilung des Polizeipräsidiums. Und das ist sein
Assistent Herbert … Herbert …«
»Anwaldt.«
»Ja, Kriminalassistent Anwaldt. Gestatten Sie, das ist
meine Frau Teresa Jankewitsch-Hartner und mein Sohn
Manfred.«
Sie begrüßten einander förmlich. Der Junge machte
einen artigen Diener und sah Hilfe suchend seinen Vater
an, der sich halblaut mit seiner Frau unterhielt. Diese hat-te mit ihrer eigenwilligen Schönheit bei beiden Männern
lebhaftes – wenn auch ganz unterschiedlich geartetes –
Interesse hervorgerufen. Mock betrachtete sie eher in-
stinktiv – wie Casanova es getan hätte, Anwaldt kontem-
plativ – wie Tizian sie hätte ansehen mögen. Sie war nicht die erste Polin, die ihn derart beeindruckte. Manchmal
ertappte er sich bei dem absurden Gedanken, dass jene
Frauen etwas Magisches an sich hatten. »Medea war eine
Slawin«, dachte er dann. Anwaldt besah sich ihre feinen
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Züge, die gebogene Nase und das zu einem Knoten ge-
bundene Haar und hing dem melodischen Klang ihrer
sanften Stimme nach. Er versuchte in Gedanken, ihre Ge-
stalt, die geschwungene Linie ihrer Beine und ihre stolzen Brüste aus dem Sommerkleid herauszuschälen. Leider
verabschiedete sich Frau Hartner, das Objekt ihrer so un-
terschiedlichen, aber verwandten Sehnsüchte, zog ihren
Sohn hinter sich her und verließ das Zimmer. In der Tür
traf sie auf den alten, buckligen Bibliothekar, der ihr einen lüsternen Blick zuwarf – was ihrem Mann nicht ent-
ging.
»Na, Smetana, zeigen Sie schon her, was Sie
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