Tod in Breslau
wieder-
holte seine Frage.
»Wir haben die Tochter von diesem Juden auf eine Lie-
ge gefesselt. Walter hat gesagt, dass wir sie vergewaltigen, wenn er nicht zugibt, die Frauen erstochen zu haben.«
»Welcher Walter?«
»Piontek.«
»Und? Hat er gestanden?«
»Ja. Warum zum Teufel fragt der mich das alles?«
Konrad wandte sich zu Mock. »Das ist für Sie …«
Mock ließ ihn nicht ausreden.
»Du hast sie aber trotzdem gefickt, die kleine Jüdin,
was, Schmidt?«
»Klar doch.« Konrads Augen verschwanden zwischen
seinen fetten Lidern.
»Und jetzt sag uns noch, wer dieser Türke ist, der zu-
sammen mit dir Anwaldt gefoltert hat.«
»Das weiß ich nicht. Der Chef hat einfach gesagt, ich soll den da … na, eben …« Seine Augen wiesen auf Anwaldt.
243
Auf ein Zeichen hin klemmte ihm Zupitza die Stange
wieder zwischen die Kiefer. Mit der Zange bekam er den
Stummel des abgebrochenen Zahns zu fassen und zog
kräftig daran. Das Zahnfleisch gab mit einem hässlichen
Knirschen nach. Und kurz darauf hatte Zupitza auch
den zweiten Schneidezahn abgebrochen. Konrad ver-
schluckte sich an seinem Blut, er würgte und röchelte.
Sie ließen noch eine Minute verstreichen, bevor sie ihm
die Stange aus dem Mund nahmen. Aber Schmidt konn-
te nicht sprechen – sein Kiefer hing lose herab und
Smolorz hatte eine ganze Weile damit zu tun, ihn wieder
einzurenken.
»Ich frage noch einmal: Wer ist der Türke? Wie heißt
er, und was macht er bei der Gestapo?«
»Ich weiß nicht. Ich schwöre es.«
Diesmal kniff Schmidt seinen Mund mit aller Kraft zu,
um zu verhindern, dass die Stange wieder zur Anwen-
dung kam. Aber Wirth zog einen Hammer hervor und
setzte einen übergroßen Nagel auf Konrads Hand an. Er
schlug zu. Konrad schrie auf, und Zupitza zeigte, nicht
zum ersten Mal an diesem Tag, eine blitzschnelle Reakti-
on: Sobald der Gestapomann den Mund aufgerissen hat-
te, befand sich schon wieder die Stange darin.
»Wirst du sprechen, oder willst du noch ein paar Zäh-
ne loswerden?«, fragte Anwaldt. »Wirst du sprechen?«
Der Gefesselte nickte mit dem Kopf. Als die Stange aus
seinem Mund entfernt war, sagte er hastig:
»Kemal Erkin. Er will bei der Gestapo lernen, dafür ist
er hierher gekommen. Unser Chef hält große Stücke auf
ihn. Mehr weiß ich nicht.«
244
»Wo wohnt er?«
»Ich weiß es nicht.«
Mock war sicher, dass Konrad alles gesagt hatte. Leider
– sogar fast zu viel. Denn sein »Das ist doch für Sie …«
hatte das dunkle Geheimnis seiner Abmachung mit Pion-
tek berührt. Aber zum Glück hatte er es lediglich ge-
streift. Es war ungewiss, ob einer der Anwesenden den
abgebrochenen Satz hätte vervollständigen können. Mock
sah zu Anwaldt hinüber, der trotz seiner Müdigkeit sicht-
lich erregt war. Nur Smolorz schien ruhig wie immer.
(Nein, sie hatten sich bestimmt nichts dabei gedacht.) Wirth und Zupitza sahen Mock erwartungsvoll an.
»Herrschaften, mehr ist wohl nicht aus ihm herauszu-
kriegen.« Mock trat zu Konrad und stopfte ihm den Kne-
bel wieder in den Mund. »Wirth, von diesem Menschen
darf nicht die kleinste Spur zurückbleiben, verstehst du
mich? Und außerdem rate ich euch, Deutschland zu ver-
lassen. Man hat euch in der Kneipe gesehen, wie ihr
Schmidt fertig gemacht habt. Wenn ihr dort ein wenig
professioneller aufgetreten wärt und gewartet hättet, bis
der Kerl das Lokal verließ, dann hättet ihr völlig unbehel-ligt draußen euer Mütchen an ihm kühlen können. Aber
ihr habt euch hinreißen lassen. Musstet ihr denn unbe-
dingt gleich in der Kneipe mit ihm abrechnen? Ich habe
nicht gewusst, Wirth, dass du so gewalttätig reagierst,
wenn dir jemand einen kleinen Schnaps einflößt. Wie
dem auch sei. Morgen, wenn Konrad nicht bei der Arbeit
erscheint … oder spätestens übermorgen wird die ganze
Breslauer Gestapo hinter euren Visagen her sein. Und in
drei Tagen wird man in ganz Deutschland nach euch su-
245
chen. Ich rate euch, das Land zu verlassen. Möglichst weit weg … Was eure Schuld bei mir betrifft, so betrachte ich
sie als getilgt.«
X
Breslau, Montag 16. Juli 1934.
Neun Uhr vormittags
Die Leiche von Konrad Schmidt lag schon seit über zehn
Stunden auf dem Grunde der Oder, in der Nähe der Hol-
landwiesen, als Mock und Anwaldt sich genüsslich ihre
Bairam-Zigarren ansteckten und den ersten Schluck eines
starken arabischen Kaffees zu sich nahmen. Leo Hartner
versuchte nicht, seine Zufriedenheit zu verbergen. Er
Weitere Kostenlose Bücher