Tod in Breslau
zu einem feuchtfröhli-
chen Treffen zusammengefunden, und der lauwarme
Schnaps floss reichlich in der Kneipe von Gustav Thiel an
der Bahnhofstraße. Der schmächtige Wirth, dessen
Fuchsgesicht zahlreiche Narben verunstalteten, und der
vierschrötige, schweigende Golem neben ihm, gaben ein
recht auffälliges Paar ab. Einige der Gäste grinsten hinter ihrem Rücken über sie, und ein Stammkunde, ein Dickwanst mit rötlichem, faltendurchzogenem Gesicht, be-
mühte sich nicht, seine Belustigung zu verbergen. Immer
wieder brach er in Gelächter aus und deutete mit seinem
fetten Finger auf die beiden. Da sie zudem auf seine Pö-
beleien nicht reagierten, hielt er sie bald für Feiglinge.
Und für ihn gab es kein größeres Vergnügen, als ängstli-
che Menschen bloßzustellen. Er stand auf und kam
schweren Schrittes über die glitschigen Bodendielen zu
seinen Opfern herüber. Vor ihrem Tischchen warf er sich
in Positur und lachte heiser:
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»Na, was ist, Kleiner … trinkst du einen mit dem lie-
ben Onkel Konrad?«
Der Angesprochene würdigte ihn keines Blickes. Ruhig
malte er mit seinem Finger seltsame Figuren auf das
feuchte Wachstuch. Zupitza betrachtete nachdenklich die
eingelegten Gurken, die in einer trüben Salzlake
schwammen. Als Wirth schließlich den Kopf hob, ge-
schah es nicht aus eigenem Willen: Der Dicke hatte ihn
am Schopf gepackt und ihm brutal die Schnapsflasche in
den Mund gestoßen.
»Lass mich in Ruhe, du fettes Schwein!« Wirth ver-
drängte die Erinnerung an sein Abenteuer in Kopenha-
gen.
Der Dicke blinzelte ungläubig und packte Wirth beim
Kragenaufschlag. Er bemerkte nicht, wie sich der Riese
neben ihm langsam von seinem Sitz erhob. Im selben
Moment, als er Wirth mit seinem Kopf einen Stoß ver-
passten wollte, schob sich eine riesige, flache Hand zwi-
schen Wirths Gesicht und Konrads gesenkte Stirn und
fing den Aufprall ab. Die breiten Finger packten den Dik-
ken an der Nase und bogen seinen Kopf zurück, sodass er
mit dem Hinterkopf auf den Schanktisch knallte. Wirth
war unterdessen auch nicht faul. Er sprang blitzschnell
hinter den Tresen, packte seinen Angreifer am Kragen
und hielt ihn auf das bierfeuchte Holz gepresst. Und das
machte sich Zupitza zu Nutze: Er holte mit beiden Ar-
men weit aus, um sie mit ganzer Kraft wieder zusammen-
schnellen zu lassen, zwischen seinen Fäusten Konrads
Kopf – oder das, was nun davon übrig war: Es hatte ge-
klungen, als hätte der Schlag beide Schläfenknochen zer-
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schmettert. Wie Ruß legte sich Schwärze über Konrad.
Zupitza packte den zusammengesackten Körper unter
den Achseln, während Wirth ihm den Weg freimachte.
Alle Anwesenden waren vor Entsetzen verstummt. Es
war das letzte Mal, dass irgendjemand über das ungleiche
Paar lachte, denn jeder wusste, dass man sich mit Konrad
besser nicht anlegte.
Breslau. 15. Juli 1934.
Neun Uhr abends
In Zelle Nummer zwei im Untersuchungsgefängnis hatte
man ein nicht gerade alltägliches Gerät aufgestellt: einen Zahnarztstuhl, an dessen Fußstützen und Armlehnen Le-dergurte mit Messingschnallen angebracht waren. Jetzt
spannten sich die Gurte stramm um die massiven Extre-
mitäten eines Mannes, der vor Entsetzen beinahe seinen
Knebel verschluckte.
»Herrschaften, wisst Ihr, wovor sich jeder Sadist auf
der Welt am meisten fürchtet? Richtig: vor einem ande-
ren Sadisten!« Mock drückte in aller Seelenruhe seine Zi-
garette aus. »Na, Schmidt, jetzt guck dir mal diese beiden da an!« Er zeigte auf Wirth und Zupitza. »Das sind die
beiden übelsten Sadisten in Europa. Und weißt du auch,
was die beiden am liebsten tun, na? Wenn du brav auf
meine Fragen antwortest, wirst du es nie erfahren …«
Mock gab Smolorz das Zeichen, Konrad von seinem
Knebel zu befreien. Der Gefesselte atmete schwer. An-
waldt stellte ihm die erste Frage:
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»Was hast du beim Verhör mit Friedländer gemacht,
dass er den Mord an Marietta von der Malten gestanden
hat?«
»Nichts. Er hat einfach Angst vor uns gehabt, das war
alles. Er hat gesagt, dass er sie umgebracht hat.«
Anwaldt gab dem Duo ein Zeichen. Wirth zog Kon-
rads Kinnlade nach unten, und Zupitza klemmte ihm ei-
ne Eisenstange zwischen Unter- und Oberkiefer. Mit ei-
ner Kombizange packte er einen der oberen Schneide-
zähne und brach ihn in der Mitte durch. Konrad brüllte
etwa eine halbe Minute lang vor Schmerz – erst dann be-
freite Zupitza ihn von der Eisenstange. Anwaldt
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