Tod in Breslau
wo sie ihre blutigen Spuren hin-
terlassen hatten. Und man versuchte, sie in den Bordellen
von Berlin und Wien ausfindig zu machen, wo sie mit
Bündeln von Reichsmark um sich warfen, Geld, das al-
lerdings zu jener Zeit schnell an Wert verlor. Die beiden
fühlten, dass man ihnen schon dicht auf den Fersen war.
Von zufälligen Komplizen wurden sie – gegen wertlose
Versprechungen der Ordnungshüter – immer häufiger
bei der Polizei verpfiffen. Und bald hatte Wirth nur noch
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zwei Optionen: entweder nach Amerika auszuwandern,
wo allerdings die Mafia regierte, die in Sachen Erpres-
sung eine blutrünstige und rücksichtslose Konkurrenz
gewesen wäre – oder einen stillen und friedlichen Rück-
zugsort in Europa ausfindig zu machen. Ersteres erschien
zu gefährlich – und Letzteres fast unmöglich, da so gut
wie alle Polizisten die Fahndungsfotos der beiden in ihren Taschen umhertrugen. Jeder Beamte träumte vom unvergänglichen Ruhm, den die Festnahme der beiden mit sich
bringen würde.
Doch der blieb ihnen versagt. Es gab nur einen Men-
schen bei der Polizei, der freiwillig auf diese Lorbeeren
verzichtete, und das war der Breslauer Kriminalkommis-
sar Eberhard Mock, dem Mitte der Zwanzigerjahre das
Ressort für so genannte »Gewohnheitstäter« im Bezirk
Kleinburg unterstand, kurz vor seiner sensationellen Be-
förderung. Alle Zeitungen hatten über die Blitzkarriere
des einundvierzigjährigen Polizisten berichtet, der von
einem Tag auf den anderen zu einem der wichtigsten Be-
amten der Stadt wurde, zum Nachfolger von Mühlhaus,
dem Chef der Kriminalabteilung der Breslauer Polizei.
Am achtzehnten Mai 1925 hatte Mock im Rahmen einer
Routinekontrolle in einem Bordell an der Kastanienallee
zitternd vor Angst einen Wachpolizisten von der Straße
beordert, um mit ihm zusammen in das Zimmer einzu-
dringen, in dem sich das Duo Wirth & Zupitza gerade
mit einem Damentrio vergnügte. Mock, der mit heftigem
Widerstand rechnete, hatte überstürzt einige Schüsse auf
die zwei Kriminellen abgefeuert, noch bevor diese unter
ihren Gespielinnen hervorkriechen konnten. So fesselte
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er beide mithilfe des Wachmanns und ließ sie in einer
gemieteten Droschke nach Neu-Warnsdorf bringen.
Dort, auf dem Hochwasserdamm, stellte Mock den gefes-
selten und blutüberströmten Banditen seine Bedingun-
gen: Er werde sie nur dann nicht dem Gericht ausliefern,
wenn sie sich für immer in Breslau niederließen und ihm
ohne Einschränkungen zu Diensten wären. Sie hatten
diesen Vorschlag ohne Vorbehalt angenommen. Auch
der Wachmann, Kurt Smolorz, hatte gegen diese Vorge-
hensweise nichts einzuwenden. Er hatte sofort begriffen,
worum es Mock ging. Und er hatte verstanden, dass all
das auch seiner eigenen Karriere zugute kommen könnte.
Die Gangster wurden daraufhin in ein Bordell überführt,
das zu den Polizeibehörden geradezu freundschaftliche
Beziehungen unterhielt. Dort fesselte man sie mit Hand-
schellen an ihre Betten und ließ ihnen eine gründliche
ärztliche Behandlung angedeihen. Nach einer Woche
präzisierte Mock gegenüber den beiden Rekonvaleszen-
ten seine Bedingung: Er verlangte jetzt die nicht zu knapp bemessene Summe von tausend Dollar für sich und fünf-hundert für Smolorz, da er nicht mehr an die Stabilität
der deutschen Währung glauben mochte, die von der ga-
loppierenden Inflation zusehends geschwächt wurde. Im
Gegenzug versprach er Wirth, beide Augen zuzudrücken,
was das Erpressen von Schmugglern beträfe –, die ihre
illegale Ware nach Stettin schifften –, und dabei im Bres-
lauer Binnenhafen Station machten. Eher war es Senti-
mentalität, die Wirth dazu bewog, dieses Angebot ohne
Wenn und Aber zu akzeptieren. Denn Mock hatte damit
gedroht, die Komplizen zu trennen. Er hatte Wirth versi-
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chert, dass er – sollte er das Geld nicht in der vereinbarten Zeit herbeischaffen – Zupitza den Hütern des Geset-
zes ausliefern werde. Ein zweiter wichtiger Grund für die
Abmachung mit Mock war die Aussicht auf einen ruhi-
gen Lebenswandel an ein und demselben Ort – anstelle
der bisherigen Unrast. Zwei Wochen später waren Mock
und Smolorz reiche Leute. Wirth und Zupitza hingegen,
gerade erst dem Strick des Scharfrichters entkommen,
hatten sich in einer Domäne eingerichtet, die ihnen bis-
her gänzlich unbekannt gewesen war. Das Brachland be-
wirtschafteten sie bald erfolgreich auf die ihnen eigene
Art.
An jenem Abend hatten sie sich
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