Tod in Breslau
er das Horst-Wessel-Lied an, was
jedoch keiner von ihnen beachtete. Nicht ein Pfennig fiel
in seinen von französischen Kugeln durchlöcherten Hut.
Im Detektivbüro Adolf Jenderko in der Freiburgerstraße 3, hatte Franz Huber, einer der Miteigentümer des Büros,
sein Misstrauen und seine mangelnde Hilfsbereitschaft
mit einem Mal abgelegt. Augenblicklich verlor er die
Lust, Anwaldts Polizeiausweis zu prüfen oder durch ei-
nen Anruf im Polizeipräsidium dessen Identität festzu-
stellen. Franz Huber war plötzlich sehr zuvorkommend.
Er starrte auf die schwarze Mündung einer Pistole und
antwortete erschöpfend auf alle Fragen.
»Was wollte Maass genau? Und was hat er Ihnen dabei
für eine Aufgabe zugedacht?«
»Er hatte durch den alten Pförtner des Barons von ei-
nem unehelichen Kind erfahren, das der einmal einem
Zimmermädchen angehängt hatte. Damals war sie die
einzige weibliche Angestellte des Barons, jetzt lebt sie in Polen, in Rawicz. Sie heißt Hanna Schlossarczyk. Ich soll-271
te herausfinden, ob sie wirklich ein Kind vom Baron hat
und was mit ihm geschehen ist.«
»Sind Sie selbst nach Rawicz gefahren?«
»Nein, ich habe jemanden von meinen Leuten ge-
schickt.«
»Und was war dann?«
»Er hat Hanna Schlossarczyk gefunden.«
»Und? Wie hat er sie zum Reden gebracht? Niemand
gesteht ja gerne Sünden dieser Art.«
»Herr Schubert, der mit der Sache beauftragt war, hat
sich als Rechtsanwalt ausgegeben. Er hat behauptet, der
Baron sei verstorben, und er sei nun auf der Suche nach
den Erben. Das hatte ich mir so ausgedacht.«
»Schlau! Und was hat Herr Schubert in Erfahrung ge-
bracht?«
»Frau Schlossarczyk ist eine gut situierte ältere Dame.
Aber als sie hörte, dass sie eine große Erbschaft zu erwarten hatte, hat sie sich ohne zu zögern zu ihrer Jugendsün-
de bekannt. Dabei ist sie in Tränen ausgebrochen, und
Schubert hatte große Mühe, sie wieder zu beruhigen.«
»Also bereute sie ihren Fehltritt?«
»Nein, es gab noch einen anderen Grund. Sie war sehr
aufgebracht darüber, dass sie nichts über den Verbleib ih-
res Sohnes wusste, der ja auch Erbe des Barons gewesen
wäre.«
»Aber sie hatte auch Gewissensbisse?«
»Ja, es hat ganz danach ausgesehen.«
»Also hat der Baron einen unehelichen Sohn mit ihr.
Das scheint zu stimmen. Wie heißt er, wie alt ist er, und
wo wohnt er?«
272
»Frau Schlossarczyk hat in den Jahren 1901 und 1902
beim Baron gearbeitet. Zu der Zeit ist sie wohl schwanger
geworden. Danach hat Baron Ruppert von der Malten,
der Vater Oliviers, keine weiblichen Angestellten mehr
geduldet, nicht einmal eine Köchin. Also müsste ihr Sohn
jetzt etwa einunddreißig oder zweiunddreißig Jahre alt
sein. Wie er heißt, ist mir nicht bekannt. Bestimmt nicht
wie der Baron. Seine Mutter hat für ihr Schweigen so viel
Geld erhalten, dass sie bis heute gut davon leben kann.
Und wo dieser Bankert letztendlich abgeblieben ist, das
weiß niemand. Ich weiß lediglich, dass er bis zur Volljäh-
rigkeit in einem Berliner Waisenhaus gelebt hat, dorthin
musste seine Mutter ihn bringen lassen, als das Kind noch
ein Säugling war, obwohl sie ihn über alles geliebt hat.«
»Welches Waisenhaus war das?«
»Das weiß sie selber nicht mehr. Irgendein Bekannter,
ein polnischer Kaufmann, hat ihn dorthin gebracht.«
»Wie hieß dieser Kaufmann?«
»Das wollte sie nicht sagen. Sie hat erklärt, dass sein
Name nichts zur Sache tut.«
»Und hat dieser Herr Schubert das alles geglaubt?«
»Warum hätte die Frau denn lügen sollen? Ich sagte
schon, dass sie geweint hat, weil sie nichts über den
Verbleib ihres Sohnes wusste. Sie würde sich sehr freuen,
ihren Sohn kennen zu lernen. Außerdem hätten sie doch
die Erbschaft erhalten.«
Mechanisch stellte Anwaldt die nächste Frage.
»Warum musste sie ihn in ein Waisenhaus geben? Mit
dem Geld des Barons hätte sie das Kind doch bequem
aufziehen können.«
273
»Das hat Schubert wohl nicht gefragt.«
Anwaldt steckte seine Pistole in die Tasche. Sein Atem
ging pfeifend, die Hitze hatte ihm die Kehle ausgetrock-
net. Sein Zahnfleisch pochte vor Schmerzen, und auch
die Hornissenstiche machten sich wieder bemerkbar. Er
öffnete den Mund und erkannte kaum seine Stimme.
»War Maass mit Ihnen zufrieden?«
»So halbwegs. Wir hatten ja die Aufgabe auch nur so
halbwegs erledigt. Schubert fand den Verdacht bestätigt,
dass Hanna Schlossarczyk ein Kind vom Baron hatte. Aber
er hat weder dessen
Weitere Kostenlose Bücher