Tod in Breslau
lange von Nazis durchsetzt, und nach
Görings Dekret vom Februar offiziell von ihnen über-
nommen worden. Inzwischen war die Abteilung ein un-
abhängiger und undurchschaubarer Organismus, dessen
zahlreiche Personendossiers sich in einigen angemieteten
Villen im Stadtteil Kleinburg befanden, für jeden Außen-
stehenden absolut unzugänglich. Es war möglich, dass
Erkin in einer dieser Villen arbeitete, aber auch dass er
sich ausschließlich im »Braunen Haus« an der Neudorf-
erstraße aufhielt. Früher hatte sich Mock einfach an den
Chef der betreffenden Polizeiabteilung gewandt, wenn er
eine Information benötigte, aber das war jetzt vollkom-
men ausgeschlossen. Der ihm feindlich gesinnte Chef der
Gestapo, Erich Kraus, die rechte Hand des berüchtigten
Breslauer SS-Chefs Udo Woyrsch, hätte sich wahrschein-
lich eher zu jüdischer Herkunft bekannt, als auch nur ein
Sterbenswörtchen einer noch so unwesentlichen Infor-
mation nach außen dringen zu lassen.
Wie man nun an weitere Angaben über Erkin gelangen
und auf welche Art man ihn festnehmen könnte, das war
der Punkt, an dem sich die sonst übereinstimmenden Ab-
sichten von Mock und Anwaldt schieden. Die Gedanken
des Direktors gingen in Richtung des Breslauer Abwehr-
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chefs Rainer von Hardenburg, Anwaldt hingegen richtete
all seine Hoffnung auf Doktor Maass.
Eingedenk des Hinweises vom selben Morgen, Kraus’
Stellvertreter Dietmar Fröbe unterhalte ein Verhältnis
mit einer Telefonistin, verließ Mock das Gebäude und
ging durch den Schweidnitzer Stadtgraben und die Grün-
anlage, die das Wertheim-Kaufhaus umgab. Er betrat ei-
ne verglaste Telefonzelle und wählte Hardenburgs Num-
mer.
Währenddessen suchte Anwaldt im ganzen Präsidi-
umsgebäude vergeblich nach seinem Vorgesetzten. Un-
geduldig beschloss er wenig später, auf eigene Faust zu
handeln. Er steckte den Kopf durch die Tür zum Zimmer
des Kriminalassistenten. Kurz Smolorz verstand sofort
und trat zu ihm auf den Korridor.
»Wir brauchen noch einen Mann, Herr Smolorz, dann
gehen wir Maass holen. Vielleicht muss auch er kurzfri-
stig auf den Zahnarztstuhl.«
Sowohl Mock als auch Anwaldt spürten, dass die Hitze
nun beinahe tropisch war.
Breslau, 16. Juli 1934.
Fünf Uhr nachmittags
In der Wohnung von Maass herrschte ein unbeschreibli-
ches Durcheinander. Anwaldt und Smolorz saßen nach
einer hastigen Hausdurchsuchung müde und schwer at-
mend im Salon. Smolorz trat dann und wann ans Fenster
und warf einen Blick auf den Betrunkenen, der sich an
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der Ecke an eine Hausmauer lehnte und seinen verdäch-
tig wachen Blick umherschweifen ließ. Keine Spur von
Maass.
Anwaldt besah sich ein handbeschriebenes Blatt Pa-
pier. Darauf war so etwas wie ein unfertiger Plan oder Be-
richt zu lesen, nur einige hastig hingekritzelte Stichworte:
»Hanna Schlossarczyk, Rawicz. Mutter?« Und darunter:
»Fahndung in Rawicz. Für das Detektivbüro Adolf Jen-
derko hundert Mark.« Anwaldt beachtete weder das Kla-viergeklimper aus der Wohnung über ihnen noch das zu
enge Hemd, das ihm am Leib klebte – nicht einmal den
bohrenden Schmerz nach der Wurzelextraktion. Er starr-
te das Blatt Papier an und versuchte verzweifelt, sich zu
erinnern, wo ihm der Name »Schlossarczyk« schon be-
gegnet war. Es schien gar nicht so lange her zu sein. Er
betrachtete Smolorz, der nervös einige leere Papierseiten
durchblätterte, die auf einem runden Kuchenteller lagen,
und plötzlich entfuhr ihm ein »Heureka!«. Das war es: In
dem Dossier des Dieners von Baron von der Malten, das
er gestern durchgesehen hatte, war er auf den Namen ge-
stoßen. Anwaldt atmete auf, es würde wesentlich leichter
sein, an Informationen über Hanna Schlossarczyk zu ge-
langen als an die über Erkin. Er murmelte vor sich hin:
»Das werden wir alles vom Detektivbüro Adolf Jenderko
erfahren.«
»Wie bitte?« Smolorz wandte sich vom Fenster ab.
»Nichts weiter, ich habe nur laut gedacht.«
Smolorz trat zu Anwaldt und sah ihm über die Schul-
ter. Er las die Notiz aufmerksam und lachte laut auf.
»Worüber lachen Sie?«
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»Ein komischer Name: Schlossarczyk.«
»Hm, und wo liegt dieses Rawicz?«
»Das ist in Polen, etwa fünfzig Kilometer von Breslau entfernt, gleich hinter der Grenze.«
Anwaldt zog die gelockerte Krawatte fest, setzte den
Hut auf und betrachtete verärgert seine staubigen Schuhe.
»Herr Smolorz, Sie und unser angeblicher Säufer da
draußen, Sie
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